Al-Qaida nach dem Tod von Osama bin Laden:"Verschwörungstheoretiker kriegen Material frei Haus"

Was bedeutet der Tod Osama bin Ladens für al-Qaida? Die Organisation wird sich rächen, sagt Bernd Greiner. Der Historiker und Politologe erklärt, warum das Netzwerk keinen Nachfolger braucht, wieso er die Tötung für durch das Kriegsrecht gedeckt hält - und bin Ladens Seebestattung für einen Fehler.

Michael König

Vom saudi-arabischen Milliardärssohn zum Staatsfeind Nummer eins der USA: Der Tod Osama bin Ladens markiert das Ende eines ungewöhnlichen Lebenslaufs. Der Historiker und Politologe Bernd Greiner hat den Aufstieg bin Ladens zum Anführer der "Terror-Holding" al-Qaida in seinem Buch "9/11 - Der Tag, die Angst, die Folgen" beschrieben. Greiner, 58, ist Leiter des Arbeitsbereichs "Theorie und Geschichte der Gewalt" am Hamburger Institut für Sozialforschung.

sueddeutsche.de: Herr Greiner, eine US-Spezialeinheit hat Osama bin Laden in Pakistan getötet. Ist al-Qaida jetzt am Ende?

Bernd Greiner: Mit Sicherheit nicht. Osama bin Laden war nur noch das Aushängeschild eines weltweit agierenden Unternehmens des Terrors, eine kommunikative Ikone. Aber beileibe nicht mehr der Terrorpate, der bei al-Qaida alle Fäden in der Hand hält. Das war Mitte der neunziger Jahre anders, als er Verbindungen knüpfte und sein Netzwerk in Afghanistan aufbaute. Mittlerweile besteht al-Qaida aus vielen voneinander unabhängigen Zellen, die keiner Weisungen aus der Zentrale bedürfen.

sueddeutsche.de: Sie schreiben in Ihrem Buch, US-Präsident Bill Clinton habe schon 1997 eine Festnahme oder Tötung bin Ladens angeordnet. Wieso vergingen 14 Jahre?

Greiner: Erstens hatten die USA in Pakistan einen sehr unzuverlässigen Verbündeten, der immer das Spiel über Bande suchte: Man wollte es sich nicht mit den Amerikanern verscherzen, brauchte aber die Taliban in Afghanistan als Gegengewicht zum verfeindeten Indien. In diesem Kontext duldeten die Pakistaner, dass die Taliban mit al-Qaida verbandelt waren. Mit so einem Partner ist kein Staat zu machen. Dass Osama bin Laden zuletzt in einer Gegend lebte, die von hochrangigen pakistanischen Militärs bewohnt war, spricht ja Bände.

sueddeutsche.de: Und der zweite Grund?

Greiner: Schon im Februar 2002 zogen die USA wichtige Einheiten des Geheimdiensts und der Special Forces aus Afghanistan ab, um sie in den Irakkrieg zu schicken. Das hat dazu geführt, dass die USA bei der Suche nach Al-Qaida-Terroristen lange Zeit buchstäblich blind waren, was auch ranghohe Geheimdienstler immer wieder beklagt haben.

sueddeutsche.de: Bin Laden wurde vom FBI gesucht, stand aber nie vor Gericht. Ist seine Tötung völkerrechtlich gedeckt?

Greiner: Bin Laden hat sich selbst zur Kriegspartei erklärt, er bezeichnete sich als Kämpfer des Dschihad. Deshalb bewegt sich die Tötung durchaus in den Grenzen des internationalen Kriegsrechts. Zumindest lässt sich das Recht entsprechend dehnen. Wenn sich jemand selbst so klassifiziert, muss er mit den Folgen rechnen.

sueddeutsche.de: Die Leiche wurde US-Angaben zufolge nach "islamischer Tradition" behandelt. Ist das ein Zeichen der Amerikaner an die muslimische Welt?

Greiner: Mag sein, dass es als Symbol gedacht war. Aber Verschwörungstheoretikern wird durch die Seebestattung Material frei Haus geliefert: Sie werden behaupten, dass die USA nur so getan haben als ob.

sueddeutsche.de: Die US-Regierung warnt Bürger im Ausland davor, ihre Häuser zu verlassen. Wie groß ist die Gefahr eines Vergeltungsanschlags?

Greiner: Ich will keine Warnungen aussprechen, aber dass die Gefahr nicht reduziert wurde, erscheint mir offensichtlich. Al-Qaida wird jetzt dazu aufrufen, Rache zu begehen.

sueddeutsche.de: Der in Guantanamo unter Folter verhörte Al-Qaida-Terrorist Khalid Scheich Mohammed soll mit der Explosion einer schmutzigen Bombe gedroht haben, für den Fall dass bin Laden gefasst wird - also mit einer Bombe, die mit radioaktiven Partikeln durchsetzt ist.

Greiner: Es hat seitens al-Qaidas immer wieder Versuche gegeben, über pakistanische Wissenschaftler an atomwaffenfähiges Uran zu kommen. Die Beweise dafür sind sehr ernst zu nehmen. Ich weiß jedoch nicht, wie weit die Terroristen in ihren Bemühungen gekommen sind. Auch unter Geheimdienstlern ist das umstritten.

sueddeutsche.de: Wird der islamistische Terrorismus mittelfristig abklingen oder durch den Tod bin Ladens eher noch schlimmer?

"Das ist Obamas Erfolg"

Greiner: Der Terrorismus wird auch die nächste Generation beschäftigen, er kann nicht im klassischen Sinne besiegt werden. Man kann ihn eindämmen und darauf hoffen, dass er sich selbst erschöpft. Augenblicklich sind die Faktoren, die ihn befördern, aber noch sehr präsent. In der muslimischen Welt herrscht Unzufriedenheit, es gibt einen weitverbreiteten Hass auf alles Westliche. So wird der Terrorismus neue Nahrung finden. Eine Entwarnung kann es nicht geben.

Bernd Greiner

Bernd Greiner ist Leiter des Arbeitsbereichs "Theorie und Geschichte der Gewalt" am Hamburger Institut für Sozialforschung.

(Foto: Verlag C.H.Beck)

sueddeutsche.de: Wer wird der Nachfolger bin Ladens?

Greiner: Osama bin Laden war einzigartig, was sein Gespür für die Mechanismen westlicher Medien anging. Ich vermute, dass es keinen Nachfolger geben wird, der diese Rolle übernimmt. Wenn man sich jedoch vor Augen führt, wie viele Führungskräfte von al-Qaida in den vergangenen Jahren ums Leben gekommen sind und wie viele Terroranschläge dennoch durchgeführt wurden, sieht man, dass es nicht von der Führungsperson abhängt.

sueddeutsche.de: Welche Rolle spielt die vermeintliche Nummer zwei des Terrornetzwerks, Ayman al-Zawahiri?

Greiner: Er ist ein langjähriger Weggefährte bin Ladens. Die Freundschaft zwischen beiden geht bis in die späten achtziger Jahre zurück. Al-Zawahiri ist jedoch nie als Sprecher von al-Qaida in Erscheinung getreten, er meidet die Öffentlichkeit und gilt als medienscheu. Ich glaube deshalb nicht daran, dass er in bin Ladens Fußstapfen treten wird. Vielleicht im operativen Geschäft, aber sicher nicht als Gesicht des Terrors.

sueddeutsche.de: Für US-Präsident Barack Obama ist es ein historischer Tag. Er ist für seine Außenpolitik heftig kritisiert worden. Was bedeutet die Nachricht für ihn?

Greiner: Das ist natürlich ein Erfolg für ihn, aber er hat den Gesten des Triumphs widerstanden und stattdessen zunächst die Opfer der Anschläge vom 11. September 2001 gewürdigt. Das fand ich bemerkenswert. Kein Vergleich zu seinem Vorgänger George W. Bush, der sich einst im Irakkrieg mit dem Schriftzug "Mission Accomplished" hatte abbilden lassen, als die Mission noch längst nicht erfolgreich beendet war.

sueddeutsche.de: Darf sich George W. Bush nicht letztlich bestätigt fühlen? Er war es, der dem Terror den Krieg erklärt hatte.

Greiner: Ganz im Gegenteil. Für mein Dafürhalten zeigt der Tod Osama bin Ladens, dass man al-Qaida viel früher, genauer und punktueller hätte bekämpfen müssen, als Bush das getan hat. Er hat seine Ressourcen damals im Irak verschleudert, einem Land, das mit al-Qaida nichts zu tun hatte. Barack Obama scheint die Geheimdienstmaßnahmen wieder konzentriert zu haben. Deshalb ist ihm der Erfolg zuzuschreiben. Bush hat keinen Grund, sich zu brüsten.

sueddeutsche.de: Der Tod bin Ladens war ein Wahlversprechen Obamas, das er nun eingelöst hat. Erhöht das seine Chancen, 2012 als Präsident wiedergewählt zu werden?

Greiner: Möglicherweise, aber einen Automatismus gibt es nicht. Seine innenpolitischen Gegner sind sehr verbissen. Die lassen sich von der Nachricht vom Tode Osama bin Ladens nicht lange besänftigen.

Das Buch 9/11 - der Tag, die Angst, die Folgen von Bernd Greiner ist im Verlag C.H. Beck erschienen.

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