Al-Qaida in Syrien:Unheilige Allianzen

Hat al-Qaida in Syrien eine neue Operationsbasis gefunden? Der Westen befürchtet, dass sich das Terrornetzwerk unter die Gegner des syrischen Diktators Assad mischt. Denn für die gefürchteten Glaubenskrieger ist die Region ein gelobtes Land, das es zu befreien gilt.

Reymer Klüver

Two members of the Free Syrian Army stand on a tank as they gesture 'V' for victory in the Saraqib area near the northern city of Idlib

Die Siegeszuversicht gehört zur Taktik der syrischen Rebellen. Doch das Assad-Regime ist noch lange nicht geschlagen.

(Foto: REUTERS)

Anfang der Woche haben wieder Selbstmordattentäter in der syrischen Hauptstadt Damaskus Dutzende Menschen in den Tod gerissen. In den internationalen Medien war rasch ein Urheber ausgemacht: eine dem Terrornetzwerk al-Qaida nahestehende Gruppierung. US-Experten sprechen seit Wochen davon, dass al-Qaida die syrischen Wirren zu einer "Wiederauferstehung im Nahen Osten" nutzen könnte.

Schon im Februar hatte US-Geheimdienstkoordinator James Clapper vor einer Unterwanderung der syrischen Rebellen durch al-Qaida gewarnt. Ist nun eingetreten, was Obamas Oberspion befürchtet hat? Hat al-Qaida in Syrien eine neue Operationsbasis gefunden?

In einer Studie für Jane's, den britischen Militärfachverlag, spricht der amerikanische Nahostexperte Bilal Saab davon, dass Syrien geradezu "überflutet" werde von islamistischen Kämpfern mit Verbindungen zu al-Qaida. Die meisten gelangten über die Türkei und den Grenzübergang Bab al-Hawa ins Land, der sich in der Hand der syrischen Rebellen befindet.

"Die Realität ist", sagt Saab vom Monterey Institute of International Studies, "es gibt Geld, es gibt Leute, es gibt hinreichend Engagement." Al-Qaida sei dabei, sagte Saab der Süddeutschen Zeitung, einen "irakisch-syrischen Ableger" aufzubauen - also in der strategisch brisanten Region zwischen Israel und Nato-Mitgliedsland Türkei.

Für die Glaubenskrieger sei die Region, die sie Bilaad al-Shaam nennen, ohnehin heiliges Land, das es zu befreien gelte, konstatiert Ed Husain vom New Yorker Council on Foreign Relations - zunächst von dem Ungläubigen Assad, einem Angehörigen der alawitischen Glaubensrichtung, die für die sunnitische al-Qaida pure Ketzerei ist. Sollte Assad fallen, so glaubt Husain, könnte Syrien zu einer "neuen strategischen Basis für Dschihadisten im Herzen der arabischen Welt" werden.

Vor allem in den Grenzregionen zu Jordanien und dem Irak, wo sie mit der Unterstützung einheimischer sunnitischer Stämme rechnen könnten. Nicht mehr seit der sowjetischen Invasion in Afghanistan habe es eine solch brisante Kombination gegeben: "wohlwollende einheimische Sunniten, ein gemeinsames Anliegen, Geld und Unterstützung aus arabischen Ländern, Resignation des Westens und ein ständiger Zufluss junger Muslime, die bereitwillig für eine islamistische Regierung kämpfen."

Experten warnen vor allzu düsteren Szenarien

Allerdings gibt es auch Experten aus anderen angesehenen "Think Tanks" Amerikas, die vor allzu düsteren Zukunftsszenarien warnen. "Al-Qaidas Verwicklung in Syrien wird übertrieben", stellt Elizabeth O'Bagy vom Washingtoner Institute for the Study of War lapidar fest. Sie ist Autorin einer ausführlichen Studie über den "Dschihad in Syrien", die erst vor wenigen Tagen erschienen ist.

Gewiss sei die Gefahr einer Unterwanderung der syrischen Opposition durch islamistische Gotteskrieger deutlich höher, als sie es in Libyen, Ägypten oder Tunesien je gewesen sei. Tatsächlich aber hält sie die Zahl der Al-Qaida-Kader in Syrien und überhaupt der Dschihadisten aus dem Ausland noch für vergleichsweise gering. Nach ihren - konservativen - Schätzungen gehören der bewaffneten Opposition in Syrien 50.000 Mann an, darunter etwa 1000 ausländische Kämpfer. Die britische Quilliam Foundation geht von 1200 bis 1500 Kämpfern aus. Andere sind bei den Zahlenangaben weniger zurückhaltend. Der Islamisten-Experte Aaron Zelin vom Washington Institute for Near East Policy spricht von "Tausenden" islamistischen Internationalisten.

Schon im August hatten US-Geheimdienstler davor gewarnt, dass al-Qaida dabei sei, "ein Netzwerk gut organisierter Zellen" in Syrien zu bilden. Zugleich gaben sie aber zu, dass kaum mehr als 200 Al-Qaida-Kämpfer aus dem Irak im Land seien - eine verschwindend geringe Zahl angesichts der Größe der Rebellenbewegung. Gefährlicher indes ist nach Einschätzung O'Bagys eine Dschihadisten-Gruppierung syrischen Ursprungs: Jabhat al-Nusra, etwa Unterstützungsfront für das syrische Volk. Ähnlich wie al-Qaida will sie ein globales Kalifat errichten und die strikte Einhaltung der Scharia erzwingen. Auch hat sie die Kampftaktiken von al-Qaida mit einer Serie gezielter Bombenattacken und Selbstmordanschlägen übernommen, weshalb die Gruppe in Medienberichten schnell zum Al-Qaida-Ableger gemacht wurde.

Dabei bemühten sich die Kämpfer von al-Nusra im Gegensatz zu al-Qaida im Irak darum, die Zahl der zivilen Opfer ihrer Anschläge in Grenzen zu halten. Tatsächlich hat keine der beiden Terrorgruppen in ihrer Propaganda einander bisher jemals erwähnt. Der Islamisten-Experte Aaron Zelin vom Washington Institute sagt denn auch: "Es gibt keine bekannte Beziehung. Nur weil sie dieselben Taktiken benutzen, muss es nicht auch eine Verbindung geben."

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