Süddeutsche Zeitung

Atomenergie:"Die Zeit läuft uns davon"

Wirtschaftsminister Habeck drängt, den Gesetzentwurf zum Reservebetrieb zweier Meiler zu verabschieden. Doch der AKW-Streit mit der FDP blockiert alles. Dabei enden die Laufzeiten schon in zehn Wochen.

Von Michael Bauchmüller, Daniel Brössler und Mike Szymanski, Berlin

Eine Annäherung im AKW-Zoff? Davon ist zumindest bei Robert Habeck am Mittwoch nichts zu spüren. Lang und breit erklärt er noch einmal, warum er nur zwei süddeutsche Atomkraftwerke zur Reserve machen will, und das auch nur für diesen Winter. "Man darf zur Atomkraft verschiedene Meinungen haben, das ist völlig in Ordnung", sagt der Wirtschaftsminister von den Grünen. "Aber viel zu wollen und am Ende nichts zu kriegen, scheint mir nicht besonders praxistauglich zu sein." Das geht womöglich wieder an die Adresse von Christian Lindner, dem FDP-Finanzminister.

Der Konflikt zwischen beiden war zuletzt eskaliert. Lindner hält den von Habeck vorgeschlagenen Weiterbetrieb von nur zwei Atomkraftwerken bis April für nicht ausreichend. Ein Gesetzentwurf, mit dem dieser begrenzte Reservebetrieb verankert würde, hängt daher seit einer Woche im Kabinett fest, obwohl die Laufzeit der Reaktoren schon in gut zehn Wochen endet; und obwohl in einem von beiden, Isar 2, dringend Wartungsarbeiten anstehen. "Die Zeit läuft uns davon", sagt Habeck.

Von einem Kompromiss ist die FDP denkbar weit entfernt

Viel Zeit bleibt tatsächlich nicht, denn nach dem Kabinett müssen sich noch Bundestag und Bundesrat mit der Causa befassen. Die Länderkammer tritt das nächste Mal Ende des Monats zusammen - und dann erst wieder Ende November. "Wenn wir keine Gesetzgebung in der nächsten Sitzungswoche haben, dann laufen zum 31.12. alle Atomkraftwerke aus", warnt Katja Mast, die Parlamentarische SPD-Geschäftsführerin. "Dann gibt es keinen Streckbetrieb." Sie sei aber "sehr zuversichtlich", dass der Bundestag nächste Woche über eine Lösung im Atomkraftstreit beraten werde.

Dazu allerdings müsste erst das Kabinett entscheiden, theoretisch ginge das auch im schriftlichen Umlaufverfahren, also auf dem kleinen Dienstweg. "Ich gehe davon aus, dass wir im Laufe der nächsten Tage eine Lösung haben werden und das dann nächste Woche im Bundestag beraten werden", sagt Mast. Vize-Regierungssprecherin Christiane Hoffmann verwies am Mittwoch auf die Bemühungen von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und betonte mit Blick auf eine mögliche Einigung ebenfalls: "Ja, wir sind zuversichtlich."

Allerdings ist die FDP von einem Kompromiss denkbar weit entfernt. Sie will den Weiterbetrieb aller drei verbliebenen Kernkraftwerke bis ins Jahr 2024. Wegen der anhaltenden Energiekrise sei "übergangsweise eine Laufzeitverlängerung der drei sicheren deutschen Kernkraftwerke bis ins Jahr 2024" nötig, sagte etwa FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai der Rheinischen Post. Die Grünen haben sich zwar damit abgefunden, dass die süddeutschen Atomkraftwerke noch einige Monate mit vorhandenem Brennstoff weiterbetrieben werden. Den Einkauf neuer Brennstäbe für einen längeren Betrieb aber lehnen sie kategorisch ab. Dies gilt in der Partei als rote Linie.

Auch die SPD pocht auf Abmachungen innerhalb der Regierung. Mast betonte mit Blick auf die FDP, "dass wir, was wir gemeinsam verabredet haben, auch umsetzen müssen". Dabei bezog sich Mast auf die Vereinbarung der Koalitionsspitzen vom 29. September unter anderem zum 200-Milliarden-Euro-Abwehrschirm gegen die hohen Energiepreise. Den Reservebetrieb hatte die Regierung hier eigens festgehalten - beschränkt auf die süddeutschen Atomkraftwerke und bis zum Frühjahr 2023. Neben Isar 2 betrifft dies das Neckarwestheim 2.

Angesichts auch anderer, drängender Gesetzesvorhaben wie der geplanten Gaspreisbremse, die schleunigst beschlossen werden müsste, brachte Mast auch eine mögliche Sondersitzung des Bundestages ins Gespräch. Ihre Botschaft sei: "Der Bundestag ist jederzeit handlungsfähig, wenn es notwendig wird."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5673829
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/bac
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.