Süddeutsche Zeitung

Aktuelles Lexikon:Zweite Welle

Ein oft gebrauchter Begriff, der nie genau definiert worden ist.

Von Werner Bartens

Wer jemals Zeit an den Gestaden eines Ozeans zugebracht hat, weiß, wie unberechenbar Wellen sind. Mal bäumen sie sich bedrohlich auf, mal bringen sie nur ein mittelmäßiges Plätschern zustande. Auch die Wucht einer zweiten Welle nach einer großen ist schwer vorherzusagen, da Wind, Strömung und andere Turbulenzen die Höhe beeinflussen. Ähnlich verhält es sich mit der zweiten Welle der Corona-Pandemie. Dass es nach einem ersten Peak im Frühjahr und dem nachfolgenden Rückgang der Ansteckungen durch die Kontaktbeschränkungen im Sommer oder Herbst zu einem massiven Wiederanstieg der Neuinfektionen kommt, der zweiten Welle eben, wurde oft beschworen, doch nie definiert. Markieren die vermehrt gemeldeten Infektionen der vergangenen Tage den Beginn einer zweiten Welle? Immer neue Modellrechnungen haben Konjunktur; je nach Gewichtung der Einflussfaktoren fallen sie sehr unterschiedlich aus. Vermutlich ist die Rede von der Welle irreführend, um Ausschläge der Pandemie zu beschreiben. Dadurch wird ein kontinuierliches Anschwellen und Abflauen suggeriert, doch das Virus hält sich nicht an solche Vorgaben. Infektionen, die wie Glutnester mal verglimmen, mal aufflammen und sich gelegentlich zu größeren Brandherden zusammenschließen - das sind treffendere Metaphern.

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Quelle:
SZ vom 06.08.2020
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