Süddeutsche Zeitung

Aktuelles Lexikon:Vorreiter

Ein Begriff für die Parforce-Jagd und die Virus-Zeit.

Von Friederike-Zoe Grasshoff

Der Ausdruck mag altmodisch und militärisch klingen, dennoch wird er heute noch oft und gern verwendet; so oft und so gern, dass er fast schon wieder neumodisch ist. Ständig ist irgendwer irgendwo ein Vorreiter: ein Vorreiter der Sharing Economy, des Umweltschutzes, des skandinavischen Designs, der Videokonferenz. Synonym könnte man heute natürlich auch Pionier, Wegbereiterin, Vordenker, Revolutionärin oder Influencer verwenden, aber nur dem Vorreiter wohnt der Ritt inne. Dem Grimm'schen Wörterbuch zufolge wird damit ein vorausgeschickter Reiter bezeichnet, der zu militärischen Zwecken die Lage sondierte und etwaige Gefahren erspähte. Des Weiteren übernahm er auch die Funktion des Boten beziehungsweise des Anmelders, oder ritt einem Wagen "zur Prachtentfaltung" voraus. Bei der Parforcejagd mit Hundemeute und Pferden, die vor allem im 17. und 18. Jahrhundert an europäischen Fürstenhäusern beliebt war, wurde der Vorreiter auch Piqueur genannt. Nun, da ein Virus gejagt wird, reiten die einen Länder den anderen gewissermaßen voraus, allein schon zeitlich. Ob Österreich, das allen voran angekündigt hat, seine früh eingeführten Ausgangsbeschränkungen nach Ostern schrittweise zu lockern, seine Vorreiter-Rolle erfüllt, wird erst das Voranschreiten der Zeit zeigen.

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Quelle:
SZ vom 07.04.2020
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