Aktuelles Lexikon:Treppenwitz

Kein Witz: Angela Merkel benutzt den Begriff in der Ankündigung ihres Rückzugs entgegen seiner ursprünglichen Bedeutung. Denn ein "Treppenwitz der Geschichte" hat mehr mit der Tragik einer versäumten Gelegenheit zu tun als mit einem schlechten Einfall.

Von Karin Janker

Witz kommt von Wissen und ist ein scharfsichtiger Einfall, der eigentlich unvereinbare Dinge kombiniert. Meyers Konversationslexikon von 1909 unterscheidet den Wortwitz, der auf das Spiel mit Worten abzielt, vom Sachwitz, bei dem sich das Komische auf den Gegenstand bezieht. Der Treppenwitz hingegen ist keine Witzgattung, leitet sich aber auch von der Ursprungsbedeutung ab: Als Treppenwitz bezeichnete man im 19. Jahrhundert einen Einfall, der einem zu spät kommt, also wenn man schon wieder im Treppenhaus steht. Die Tragik dieser versäumten Gelegenheit ging 1882 in den Buchtitel "Treppenwitz der Weltgeschichte" von William Lewis Hertslet ein. Dieser Bestseller sammelte historische Ereignisse, die erst im Nachgang anekdotisch ausgeschmückt wurden: "Der Geschichte fällt geradeso wie dem von der Audienz die Treppe herunterkommenden Bittsteller ein pikantes, gerade passendes Wort fast immer erst hinterdrein ein". Wenn Angela Merkel von einem "Treppenwitz der Geschichte" spricht, wenn man nun vorzeitig den Stab über der Bundesregierung bräche, so benutzt die Kanzlerin das geflügelte Wort entgegen seiner ursprünglichen Bedeutung. Eigentlich könnte sie auch sagen "Das wäre ein Witz", also kein besonders guter Einfall. Nur klänge das weniger geschichtsträchtig.

© SZ vom 31.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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