Süddeutsche Zeitung

Aktuelles Lexikon:Inshallah

Ein Wort, das das Lebensgefühl einer Weltgegend ausdrückt.

Von Moritz Baumstieger

Es war nur ein kleines Wort, das der demokratische Kandidat im TV-Duell mit dem Amtsinhaber dahinschnodderte, doch es ließ manchen aufhorchen. Als Donald Trump mal wieder behauptete, er werde seine Steuerunterlagen veröffentlichen, entfuhr dem Herausforderer: "When? Inshallah...". Damit hatte Joe Biden wohl als erster Kandidat in der Geschichte der TV-Duelle ein arabisches Wort benutzt. Und wenn es auch nicht ganz einwandfrei ausgesprochen war, verwendete es Biden mit jener resigniert-lakonischen Intonation, mit der viele Bewohner der islamischen Welt auf die Zumutungen des Alltags reagieren: Wird der Strom morgen wieder fließen? Wird der Gatte seine getragenen Socken zumindest einmal in den Wäschekorb werfen? Inshallah - so Gott will. Die Phrase geht auf die 18. Sure des Korans zurück, ist in ähnlicher Form aber auch in der Bibel im Jakobusbrief zu finden. Sie besagt, dass der Mensch dem Willen Gottes unterworfen ist - er kann zwar Pläne machen, aber ob die auch zur Ausführung gelangen, entscheidet der Herr. Und weil dessen Wege vor allem in der ihm nahestehenden Region Nahost oft unergründlich sind, wird aus diesen Plänen gerne: nichts. Als Biden "Inshallah" sagte, meinte er also: Die Welt wird wohl eher das Jüngste Gericht erleben, bevor Trump seine Finanzen offenlegt.

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Quelle:
SZ vom 01.10.2020
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