Aktuelles Lexikon:Freiheitsglocke

Die Amerikaner erfanden sie, und die Berliner erinnerte sie über Jahrzehnte daran, die Teilung der Stadt nicht zu akzeptieren.

Von Edeltraud Rattenhuber

Jeden Tag um zwölf Uhr mittags meldet sich vom Turm des Schöneberger Rathauses in Berlin die "Freiheitsglocke", fünf Minuten lang und bis auf wenige Ausnahmen seit 70 Jahren. Mit ihrem sonoren Geläut sollte sie einst den Berlinern Trost spenden in schweren Zeiten. Und das waren die ersten Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg. Gerade hatte Berlin mithilfe der amerikanischen Luftbrücke die russische Blockade überstanden. Der "Vater der Luftbrücke", Lucius D. Clay, war damals Militärgouverneur Deutschlands. Als Vorsitzender des zum Kampf gegen den Kommunismus gegründeten "Nationalkomitees für ein freies Europa" gab er den Anstoß zur Finanzierung einer Glocke nach dem Vorbild der "Liberty Bell", eines nationalen Symbols, das an die Unabhängigkeit der USA von England erinnert. Clay dagegen rief zum "Kreuzzug für die Freiheit" in Europa, und fast 17 Millionen Amerikaner spendeten, damit auch Berlin eine "Liberty Bell" bekomme. Jedoch nicht ohne zuvor einen "Freiheitsschwur" zu unterzeichnen. Die Unterschriftenliste dazu wird im Turm des Schöneberger Rathauses aufbewahrt, das von 1949 bis 1991 Sitz des Regierenden Bürgermeisters war. Der "Freiheitsschwur" greift Gedanken der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung auf, aber er mahnt auch dazu, sich Angriffen auf die Freiheit und der Tyrannei zu widersetzen. Am Samstag erinnerte der Regierende Bürgermeister von Berlin in einem Festakt daran, wie sehr die Glocke den Berlinern geholfen habe, den Glauben an eine spätere Wiedervereinigung niemals aufzugeben. Tatsächlich ist die Freiheitsglocke vor allem eins: ein Kind des Kalten Krieges. Aber für viele klingt sie noch so frisch wie ehedem.

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