Süddeutsche Zeitung

Aktuelles Lexikon:Augenmaß

Bloß nicht zu rigide urteilen, auch nicht im Sport.

Von Josef Kelnberger

Das Augenmaß beschreibt die menschliche Fähigkeit, ein Gewicht oder eine Geschwindigkeit ohne Messgerät einzuschätzen. Ganz genau muss es dabei nicht zugehen, jedoch ehrlich und vernünftig. Deshalb wird einem Menschen auch Augenmaß zugebilligt, wenn er in seinem Handeln das Gebot der Verhältnismäßigkeit wahrt. Das Augenmaß ist im Sport ein Verwandter des Fingerspitzengefühls. Wenn Profis den Schiedsrichter auffordern, Fingerspitzengefühl zu beweisen, kann das heißen: Keine rote Karte in der ersten Spielminute, weil damit die Mannschaft übermäßig bestraft und das Spiel zerstört werde. Es geht nicht um einzelne Regeln, sondern höhere Gerechtigkeit. Alfons Hörmann, Vorsitzender des Deutschen Olympischen Sportbundes, hat nun "Augenmaß" im Umgang mit Fußballprofis angemahnt, die Solidarität mit George Floyd zeigten, dem von einem Polizisten getöteten Afroamerikaner. Ihnen drohen Strafen, denn laut Regeln des Sports sind "politische, religiöse oder persönliche" Bekundungen auf dem Spielfeld untersagt. Hörmann sagt sogar: Wenn Unrecht in der Welt geschehe, sei es Pflicht des Sportlers, "die Stimme zu erheben". Eine heikle Position. Sportverbände müssten folglich im Einzelfall entscheiden, welche politische Botschaft auf dem Spielfeld erwünscht ist und welche nicht.

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Quelle:
SZ vom 03.06.2020
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