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Akteure im syrischen Bürgerkrieg:Wo die Fronten verlaufen

Die Lage in Syrien ist auch deshalb so unübersichtlich, weil so viele Akteure mit sehr unterschiedlichen Interessen beteiligt sind. Dem Westen und Israel sind die teils extremistischen Rebellen fast genauso unheimlich wie Assad selbst. Russland und andere Länder fürchten um ihren Status in der Region. Ein Überblick.

Von Benjamin Romberg

Der Sinn eines Schaubilds liegt für gewöhnlich darin, einen komplizierten Sachverhalt zu gliedern, Zusammenhänge aufzuzeigen, kurz: für mehr Übersicht zu sorgen. Aber was, wenn das nicht möglich ist? Dann sieht ein Schaubild in etwa so aus wie jenes zur Lage in der Region um Syrien, das aktuell über Facebook und Twitter verbreitet wird. Es soll die Beziehungen zwischen den verschiedenen Akteuren aufzeigen, vermittelt aber eigentlich nur eines: Chaos.

Die Interessenlagen in der Region sind zu verworren, um sie mit ein paar bunten Pfeilen darzustellen. Das wird am Beispiel des syrischen Bürgerkriegs deutlich. Theoretisch sollte die Unterscheidung zwischen "Gut" und "Böse" spätestens klar sein, falls der mutmaßliche Giftgaseinsatz gegen Zivilisten den Truppen von Diktator Baschar al-Assad nachgewiesen wird. Doch so einfach ist das nicht, wie ein Überblick über die Akteure zeigt.

Die Allianz, die sich inzwischen gegen das Assad-Regime gebildet hat, ist groß - und eine militärische Intervention in Syrien wird immer wahrscheinlicher. Doch die Gegner Assads verbindet eine Sorge: In der syrischen Opposition versammeln sich auch Extremisten, die man nicht unterstützen will. Der Westen sieht sich dennoch zum Handeln gezwungen.

  • USA: Am 20. August 2012 setzte US-Präsident Barack Obama dem Assad-Regime eine rote Linie, deren Überschreiten "enorme Konsequenzen" hätte, so die Drohung damals. Diese Linie war der Einsatz von Chemiewaffen. Bei bereits vor Monaten gemeldeten Angriffen im kleineren Ausmaß lavierte die Regierung noch. Nun jedoch ist diese Linie offenbar überschritten. US-Außenminister John Kerry ließ zuletzt kaum noch Zweifel daran, dass die Regierung in Washington den Einsatz von Giftgas gegen Zivilisten als erwiesen ansieht. Obama ist zum Handeln gezwungen, um seine Glaubwürdigkeit zu wahren - und die der USA. Vor einem längerfristigen Militäreinsatz in der Region schreckt er allerdings zurück, ohnehin gibt es keine Unterstützung aus der Bevölkerung für neue militärische Abenteuer. Derzeit lässt der Präsident die Möglichkeit eines bis zu zwei Tage dauernden Angriffs auf syrische Militäreinrichtungen prüfen.
  • Großbritannien und Frankreich: Wie schon beim Militäreinsatz gegen das Gaddafi-Regime in Libyen zeigen Franzosen und Briten unter den Europäern die größte Entschlossenheit. London und Paris setzen sich schon länger für Waffenlieferungen an die syrischen Rebellen ein. Frankreichs Präsident François Hollande hatte, ähnlich wie Obama, für den Fall eines Chemiewaffeneinsatzes mit einem Militärschlag gegen Assad gedroht. Nun spricht sich Hollande für eine schnelle Entscheidung aus. "Alles wird sich in dieser Woche abspielen", sagte der französische Präsident am Montag. Die Briten unterhalten einen Luftwaffenstützpunkt auf Zypern, von dort könnten - theoretisch - Kampfflugzeuge mögliche Ziele in Syrien angreifen. Außenminister William Hague hält ein militärisches Eingreifen auch ohne Zustimmung des Weltsicherheitsrates für möglich. Die britischen Streitkräfte arbeiten bereits an Notfallplänen für einen Einsatz in Syrien.
  • Deutschland: Außenminister Guido Westerwelle (FDP) und Kanzlerin Angela Merkel (CDU) forderten zwar Konsequenzen für den Fall, dass sich die Hinweise auf einen Giftgasangriff durch das Assad-Regime bestätigen sollten - ob sich Deutschland auch an einer möglichen Militäraktion beteiligen würde, ließ die Bundesregierung jedoch offen. Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) hat eine Beteiligung der Bundeswehr hingegen ausgeschlossen und auch die Opposition sprach sich gegen einen Militäreinsatz aus. Dass sich die Bundesrepublik einem solchen Einsatz entziehen kann, auch wenn die Verbündeten auf eine Beteiligung drängen, hat sich in Libyen gezeigt: Damals enthielt sich Deutschland bei der Abstimmung im Sicherheitsrat und beteiligte sich nicht am Angriff auf Gaddafi.
  • Golfstaaten: Gegner Assads gibt es nicht nur im Westen. Auch in der Region selbst haben die syrischen Rebellen Unterstützer. Durch die arabische Welt zieht sich zunehmend eine Konfliktlinie entlang der beiden großen Glaubensgemeinschaften: Schiiten und Sunniten. Assads Regime gehört zu den Alawiten, einer schiitischen Minderheit in Syrien. Die meisten Aufständischen im Land sind Sunniten. Auf Seiten der Rebellen stehen daher auch sunnitische Golfstaaten wie Saudi-Arabien oder Katar, die die syrische Opposition mit Waffenlieferungen unterstützen. Saudi-Arabien ist zudem daran interessiert, mit Syriens Machthaber Assad den engsten Verbündeten Irans zu stürzen. Riad und Teheran verbindet eine lange Feindschaft.
  • Türkei: Die Türkei hat im syrischen Bürgerkrieg früh Partei ergriffen. Ankara nimmt Flüchtlinge aus dem Nachbarland auf und unterstützt die Rebellen, etwa durch Ausbildungsmaßnahmen. Oppositionskämpfer nutzen türkische Grenzstädte als Rückzugsgebiet. Lange glaubte man, dem Konflikt dadurch selbst die entscheidende Wendung zu geben, doch die Situation eskalierte. Der Krief im Nachbarland überschreitet auch immer wieder die Grenze: Im Juni 2012 schoss die syrische Armee ein türkisches Kampfflugzeug ab. Wiederholt schlugen Granaten auf der türkischen Seite ein, es gab Tote und Verletzte. Als Reaktion darauf griff die türkische Armee Ziele in Syrien an. Die Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan hat bereits ihre Teilnahme an einem möglichen Militäreinsatz zugesagt.
  • Israel: Lange Zeit verfolgte die Regierung in Jerusalem den Bürgerkrieg im Nachbarland mit Zurückhaltung. Doch nun wächst die Sorge vor einer Eskalation, die auch Israel mit in den Konflikt hineinziehen könnte. Assad ist ein enger Verbündeter Irans und der libanesischen Hisbollah - beides erklärte Feinde des Staates Israel. Die Bedrohung durch syrische Chemiewaffen, die auf Israel gerichtet sind, ist nun ein zusätzliches Horrorszenario für die Regierung von Benjamin Netanjahu. "Notfalls ist der Finger am Abzug", sagte der Premier bei einem Treffen mit Ministern. Auch Präsident Schimon Peres fand deutliche Worte: "Die Zeit ist reif für einen internationalen Versuch, sämtliche Chemiewaffen aus Syrien zu beseitigen."

Die Freunde Assads sind weit weniger zahlreich als seine Gegner, doch auch der Diktator hat mächtige Verbündete. Auch sie hätten eigentlich ein Problem: Die mutmaßlichen Gräueltaten des Regimes machen eine Unterstützung im Grunde schwierig bis unmöglich. Doch sie behelfen sich mit einer unterschiedlichen Interpretation der Ereignisse in Syrien.

  • Russland: Russland ist eines der wenigen Länder, das nach wie vor seine schützende Hand über Assad hält. Die enge Verbindung der beiden Staaten stammt noch aus Zeiten der Sowjetunion. Die syrische Hafenstadt Tartus ist der letzte verbliebene Stützpunkt der russischen Marine in der Region. Die Regierung von Wladimir Putin fürchtet zudem um ihre Rolle als wichtiger Gaslieferant in der Region. Moskau versorgt das Regime in Damaskus mit Waffen und protegiert Assad auch auf diplomatischer Ebene: Russland hat mit seinem Veto bereits drei UN-Resolutionen verhindert. Außenminister Sergei Lawrow warnte vor einem Militäreinsatz in Syrien. Russland hat sich der Argumentation der syrischen Regierung angeschlossen: Die Rebellen hätten den Giftgas-Anschlag selbst inszeniert, um den Druck auf Assad aus dem Ausland zu erhöhen. Viele sehen in der Regierung in Moskau den einzigen Akteur, der eine diplomatische Lösung herbeiführen könnte. Nun, da ein militärisches Eingreifen näher rückt, könnte diese Option für Russland unter Umständen attraktiver werden.
  • China: Neben Russland hat auch China härtere Schritte gegen Assad im UN-Sicherheitsrat bislang verhindert. Die Verbindung zwischen Peking und Damaskus ist nicht so eng wie die mit Moskau. Doch die chinesische Regierung setzt außenpolitisch aus Prinzip auf Nichteinmischung. Die Unterstützung von Aufständen gegen autoritäre Regime ist für die kommunistische Führung keine Option. Die Sorge ist groß, dass Unruhen wie im Arabischen Frühling Protestbewegungen im eigenen Land inspirieren könnten. Auch wirtschaftliche Interessen spielen eine Rolle, die Handelsbeziehungen zwischen Syrien und China sind eng. Peking lehnt eine militärische Intervention in Syrien ab, will sich aber eigentlich vor allem heraushalten.
  • Iran und die Hisbollah: Assad ist Irans engster Verbündeter. Teheran will die schiitische Allianz mit Syrien und der libanesischen Hisbollah in jedem Fall aufrechterhalten. Soldaten der iranischen Revolutionsgarde unterstützen die Truppen Assads im Kampf gegen Aufständische ebenso wie Kämpfer der Hisbollah. Die Regierung des neuen Präsidenten Hassan Rohani warnte die Amerikaner vor einem Angriff auf Syrien. Jedes Überschreiten der "roten Linie an der syrischen Front" werde "ernsthafte Konsequenzen" haben, betont die Regierung.

Wo Schaubilder scheitern, kann manchmal auch eine einfache Übersicht in Textform helfen. In einem Schreiben an die Redaktion der Financial Times hat ein Leser versucht, "eine Kurzanleitung für den Nahen Osten" zu formulieren. Auch nicht ganz leicht.

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