Süddeutsche Zeitung

Aktenschreddern im Innenministerium:Vorstadium von Größenwahn

Ob bewusstes Vertuschen oder gedankenloses Löschen - man mag die Beteuerungen nicht mehr hören, die geschredderten Akten hätten keine Bezüge zur Zwickauer Terrorzelle enthalten. Denn viele Verbindungen des Trios können erst nach dessen Enttarnung rekonstruiert werden. Dass verbliebenes Material so spät gesammelt wird, ist ein Versagen des Bundesinnenministers.

Tanjev Schultz

Auch vor dem Bundesinnenministerium sind also keine Akten sicher. Auch das Bundesinnenministerium ist zu einer transparenten Aufklärung nicht willens oder nicht fähig. Und es ist gar nicht so leicht zu sagen, was eigentlich schlimmer wäre: ein bewusstes Vertuschen oder ein gedankenloses, völlig unsensibles Verwalten und Löschen?

Wie es auch war, das Ergebnis trägt dazu bei, das Misstrauen in die Sicherheitsbehörden und in die Exekutive weiter zu nähren. Und dieses Misstrauen ist ja ohnehin schon sehr groß und sehr dick.

Man mag die Beteuerungen nicht mehr hören, in den geschredderten Akten habe es keine Bezüge zur Zwickauer Terrorzelle gegeben. Kunststück! Denn die Existenz der Terrorzelle war den Behörden ja jahrelang verborgen geblieben. Viele personelle und organisatorische Verbindungen des Terrortrios werden erst jetzt rekonstruierbar.

Manche Akten berühren solche Verbindungen, und dass sich einzelne Beamte in dieser Situation anmaßen, sie könnten mal eben entscheiden, ob ein Ordner wichtig ist oder nicht, zeugt von erheblicher Naivität oder einem Vorstadium von Größenwahn. Nach dem Auffliegen der Zwickauer Zelle hätten die Behörden sofort sämtliche Akten über Neonazis sichern müssen. Das wird nun hoffentlich - endlich - geschehen, nachdem etliche Regalmeter Akten nur noch als Konfetti vorliegen.

Dass das Sichern der Akten so spät geschieht, ist auch ein persönliches Versagen des Bundesinnenministers. Hans-Peter Friedrich hat in der Affäre Transparenz und Aufklärung versprochen, zu spüren ist davon noch wenig. Das hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass seine Personalentscheidungen nicht geeignet sind, neues Vertrauen aufzubauen. Friedrich hat einen Sonderermittler für die Schredder-Affäre im Verfassungsschutz eingesetzt. Doch der kommt ausgerechnet aus dem eigenen Ministerium, das selbst fleißig am Vernichten von Akten beteiligt war.

Und dann hat der Innenminister auch noch einen seiner eigenen, sehr unbarmherzigen Juristen zum neuen Präsidenten des Verfassungsschutzes gemacht. Was soll man von so jemandem erwarten? Die Sicherheitsbehörden brauchen aber Leute mit einem frischen, kritischen Blick. Sie brauchen Leute, die sich wirklich reiben an den Routinen und Strukturen, die sie vorfinden - nicht solche, die schon seit Jahren an diesen Routinen und Strukturen selber mitgewirkt haben.

Für einen gewaltigen Staatskomplott gibt es zwar weiterhin keine Anzeichen, aber das Ausmaß an Dilettantismus und Vertuschung im Kleinen, das nun ans Licht kommt, summiert sich ebenfalls zu einer großen Affäre. Und die Frage liegt nahe, wie es in den Sicherheitsbehörden eigentlich dort aussieht, wo derzeit niemand hinschaut. Wie gehen sie beispielsweise mit Islamisten um und mit den Akten, die über diese angelegt werden? Durchforsten die Beamten vielleicht gerade diese Dokumente auf Pannen und Peinlichkeiten, um sie rechtzeitig, still und heimlich zu vernichten?

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SZ vom 20.07.2012/mane
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