Union:Furcht vor den Wählern

Merkel und Kramp-Karrenbauer

Bundeskanzlerin Angela Merkel (rechts) und Annegret Kramp-Karrenbauer (links): Auch personell kann die CDU derzeit nicht von einer vorgezogenen Neuwahl profitieren.

(Foto: dpa)
  • Angela Merkel lobt Andrea Nahles als "Sozialdemokratin mit Herzblut", die einen "feinen Charakter" habe.
  • Die Kanzlerin will trotz des Nahles-Rücktritts mit der SPD weiterregieren.
  • Ihre CDU ist derzeit weder personell noch inhaltlich stark genug, um von einer vorgezogenen Neuwahl profitieren zu können.

Von Robert Roßmann, Berlin

In der CDU hat es am Sonntag nur eine Gruppe gegeben, die sich über den Rückzug von Andrea Nahles gefreut hat: Die Werteunion. Die ultrakonservativen Christdemokraten twitterten frohgemut: "Frau Nahles hat die Zeichen der Zeit erkannt. Gut so!" Die Kurznachricht war auch deshalb maliziös, weil ihre Botschaft viel weitgehender war. Denn die Werteunion wünscht sich auch neues Personal für die CDU. Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer soll Platz für Friedrich Merz machen - und Angela Merkel das Kanzleramt räumen.

Außerhalb der kleinen Werteunion war das Entsetzen in der CDU über die Entwicklung bei der SPD aber gewaltig. Das konnte man auch daran erkennen, das Kramp-Karrenbauer mehr als sechs Stunden verstreichen ließ, bis sie die Rückzugsankündigung von Nahles kommentierte.

Sie danke Nahles für die bisherige Zusammenarbeit, sagte Kramp-Karrenbauer am späten Sonntagnachmittag. Sie habe die SPD-Chefin "immer als charakterstarke, aufrichtige und verlässliche Gesprächspartnerin erlebt". Und sie gehe davon aus, dass die SPD "die jetzt anstehenden Personalentscheidungen zügig trifft und die Handlungsfähigkeit der großen Koalition nicht beeinträchtigt wird". Die CDU stehe jedenfalls "weiter zur großen Koalition".

Die CDU-Spitze hatte sich schon den ganzen Tag über darum bemüht, die angespannte Lage nicht noch weiter zu verschärfen. Bereits am Vormittag ließ die Parteizentrale verlauten, es sei wichtig, dass die Union nun "ihre Verantwortung für die Koalition und die Regierungsarbeit" betone. Deutschland müsse handlungsfähig bleiben. Deshalb sollten jetzt alle in der CDU "die eigene Bereitschaft verdeutlichen, weiter dem Regierungsauftrag gerecht zu werden".

Die Kanzlerin ist zwar beliebt, aber es mehrt sich Kritik an den Ministern

Der Union geht es dabei jedoch nicht nur um den "Regierungsauftrag", sondern naturgemäß auch um sich. Anhänger der Union schätzen Unsicherheit noch weniger als Wähler anderer Parteien. Außerdem ist Angela Merkel wieder die beliebteste Politikerin Deutschlands. Wenn auch nur der Hauch eines Eindruckes aufkommt, dass die CDU Mitschuld an einem Ende der Koalition trägt - und damit auch am Ende von Merkels Kanzlerschaft -, würde das der Union enorm schaden.

Vor allem aber kann die CDU wegen ihres aktuellen Zustands kein Interesse an einer vorgezogenen Bundestagswahl haben. Die Union ist bei der Europawahl zum ersten Mal in ihrer Geschichte bei einer nationalen Abstimmung unter die 30-Prozent-Marke gefallen - und die Grünen sind im Höhenflug. In einer Wahlanalyse der Konrad-Adenauer-Stiftung wird darauf hingewiesen, dass die Grünen inzwischen sogar bei der Frage, wer "eine moderne, bürgerliche Politik" vertrete, vor der CDU liegen.

Außerdem müsste die Union mit einer gerade politisch angeschlagenen Parteichefin als Kanzlerkandidatin antreten. In dem für Kramp-Karrenbauer schlimmsten Fall würde es sogar eine parteiinterne Debatte darüber geben, ob statt ihr nicht jemand anderes - etwa Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet - kandidieren sollte.

Wunsch nach neuen Köpfen

Die CDU ist aber nicht nur personell, sondern auch inhaltlich nicht so stark, dass sie sich jetzt freudvoll in einen Wahlkampf stürzen könnte. Unionsfraktionsvize Carsten Linnemann, er ist auch Chef des Wirtschaftsflügels, sagte der Süddeutschen Zeitung, die CDU habe sich "jahrelang mit dem besten Argument, das wir hatten, begnügt: Angela Merkel. Darüber haben wir es bei vielen Themen versäumt, uns inhaltlich dem Wettbewerb mit den anderen Parteien zu stellen. Das rächt sich jetzt. Hier müssen wir nun endlich ansetzen."

Andere wurden noch deutlicher. Stefan Berger, er wurde gerade ins Europaparlament gewählt, beklagte, dass der CDU-Wahlkampf nicht nur unvorbereitet gewirkt habe, sondern es auch gewesen sei. Eine "konsequente Wahlkampfstrategie" sei nicht zu erkennen gewesen. Er hätte sich von "seiner Partei mehr Professionalität sowie Herz, Kampf und Willen" erwartet.

Bundesvorstandsmitglieder beklagen das Erscheinungsbild der Regierung

Berger sprach auch offen aus, was einem derzeit viele nur im Hintergrund sagen: Dass große Teile der CDU mit der Arbeit ihrer Minister unzufrieden sind. Berger sagte, man habe im Wahlkampf "oftmals" auch "den Wunsch nach neuen Köpfen im Kabinett" gehört. In der heutigen Zeit reiche "es nicht mehr allein, den Koalitionsvertrag pflichtschuldig zu erfüllen" - es seien "Personen gefragt, die Themen vorantreiben" und "Ergebnisse liefern". Vor allem Bildungsministerin Anja Karliczek und Wirtschaftsminister Peter Altmaier stehen in der Kritik.

Auch mehrere Bundesvorstandsmitglieder beklagten am Sonntag das Erscheinungsbild der Regierung. Die Koalition schaffe es nicht einmal, bei Themen wie dem Kükenschreddern oder der Ferkelkastration zu vertretbaren Lösungen zu kommen, hieß es. Der Thüringer CDU-Spitzenkandidat Mike Mohring hatte bereits auf die Blockade bei der Grundrente und beim Soli-Abbau hingewiesen. Nicht einmal diese beiden im Koalitionsvertrag klar vereinbarten Projekte seien bisher Gesetz, so dürfe es nicht weitergehen, schimpfte er.

Und Angela Merkel? Die gab am Abend auch ein kurzes Statement ab. Andrea Nahles sei eine "Sozialdemokratin mit Herzblut" und ein "feiner Charakter", sagte die Kanzlerin. Die Regierung werde ihre Arbeit jetzt aber trotz der Entwicklung bei der SPD "mit aller Ernsthaftigkeit" und "großem Verantwortungsbewusstsein" fortsetzen.

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SPD elections result in Aftermath of European Parliament elections, Berlin, Germany - 27 May 2019

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