Akın Öztürk:Der General, der hinter dem Putschversuch stecken soll

Aftermath of an attempted coup d'etat in Turkey

Ist er das Mastermind hinter dem Putschversuch in der Türkei? General Akın Öztürk, Ex-Chef der Luftwaffe

(Foto: dpa)

Die türkische Regierung sieht den früheren Luftwaffenchef Akın Öztürk als Kopf der Verschwörung an. Viele Soldaten wussten gar nicht, dass sie zu einem Staatsstreich unterwegs waren.

Von Christiane Schlötzer, Mike Szymanski

Es war schon wieder taghell, deshalb kann man sich die Szene immer wieder anschauen und dem jungen Mann im gefleckten Tarnanzug ins Gesicht blicken. Der Soldat wird aus der Dachluke eines Panzers gezogen, sein Blick und der zitternde Körper verraten Angst. Er hebt die Arme. Der andere, der ihn aus dem Panzer zerrt, trägt auch Uniform, sie ist schwarz, bis auf den Schriftzug auf der schusssicheren Weste: Polis.

Dann umarmt der Polizist den Soldaten, gibt ihm einen Bruderkuss, weil der Polizist dabei eine Gasmaske trägt, sieht das seltsam unbeholfen aus. Aber es ist eine starke Geste. Der Soldat lässt sich erleichtert und erschöpft in die Arme des Polizisten fallen, der wohl begriffen hat, dass dieser junge Putschist nicht wirklich sein Feind ist.

Denn diejenigen, die das blutige Putschtheater auf den Istanbuler Bosporus-Brücken und in der Hauptstadt Ankara mutmaßlich inszeniert haben, würden sich nicht selbst in einen Panzer zwängen. Am Sonntag weiß man dann, dass manche der jungen Soldaten dachten, sie seien zu einer Übung unterwegs und nicht zu einem Staatsstreich.

Als "Rädelsführer" der Putschisten wird von Regierungskreisen der Ex-Luftwaffenchef Akın Öztürk ausgemacht. Der war seit August 2015 nicht mehr auf dem Posten, aber noch Mitglied im Obersten Militärrat, in einem Monat sollte er pensioniert werden. Er wird festgenommen. Öztürk gibt noch eine Erklärung ab. Darin bestreitet er eine Beteiligung an dem Putschversuch und bekundet seine Loyalität zu Generalstabschef Hulusi Akar. Der war in der Putschnacht zeitweise als Geisel genommen worden. Es wird auch kolportiert, die beteiligten Offiziere hätten befürchtet, in Kürze aus der Armee entlassen zu werden - wegen Nähe zu dem islamischen Prediger Fethullah Gülen. Deshalb hätten sie ihre Aktion jetzt gestartet.

Das regierungsnahe Blatt Akşam veröffentlicht am Sonntag eine lange Liste mit Namen von bereits verhafteten Militärangehörigen - mehrere Tausend sollen es schon sein. Viele Luftwaffenoffiziere sind darunter, Gendarmerie-Kommandeure, die zum Militär gehören, dazu hohe Offiziere der Ägäis-Armee, aber auch auffällig viele, die im Südosten des Landes dienten.

Frust über den Krieg gegen die PKK und den Syrien-Einsatz

Dort sind zuletzt viele Wehrpflichtige im Zermürbungskrieg gegen die kurdische PKK gestorben, es ist gut möglich, dass sich Teile der Armee deshalb als Opfer von Präsident Recep Tayyip Erdoğans Politik fühlen. Frust soll auch der Syrien-Einsatz ausgelöst haben, zu dem die Armee, und besonders die Luftwaffe, auch von der Politik erst gedrängt werden musste.

Es gibt noch eine andere Liste, sie soll bei einem Verhafteten in Bursa aufgetaucht sein und ging an türkische und ausländische Medien. Danach hatten die Putschisten genaue Vorstellungen, wer nach dem Staatsstreich welche Jobs übernehmen soll. Der Chef der Luftwaffenakademie Tamer Özaslan etwa sollte das Staatsradio TRT in Istanbul übernehmen.

Am Abend des Putschversuchs, so berichtet Hürriyet, hätten mehrere Luftwaffengeneräle in Istanbul an einer Hochzeitsfeier teilgenommen, nur Akın Öztürk nicht. Mehrere Putschisten hätten bei dieser Feier dann die anwesenden Generäle überwältigt, als Geiseln genommen und in einem Militärhubschrauber weggebracht, um den Rest der Luftwaffe auszuschalten. Was dann aber doch nicht gelang. Der Putsch brach ja noch in der Nacht zum Samstag praktisch in sich zusammen.

Das war 1960, 1971 und 1980 anders, als die Armee ebenfalls putschte. Der Junta-Chef von 1980, Generalstabschef Kenan Evren, machte sich selbst zum Staatspräsidenten, blieb neun Jahre im Amt und schrieb in die Verfassung lebenslange Immunität für die Putschisten. Die wurde erst durch eine von Erdoğan initiierte Verfassungsänderung 2010 beseitigt. Evren wurde im Juni 2014 der Prozess gemacht. Das Urteil: lebenslange Haft. Die musste er wegen seines Alters nicht mehr antreten. Evren starb 2015 mit fast 98 Jahren.

Erdoğans harte Hand

Lange galt in der Türkei ein Komplex aus Angehörigen von Militär, hoher Beamtenschaft, Geheimdiensten und Gendarmerie als sogenannter "Tiefer Staat". In den Achtziger- und Neunzigerjahren wurden diesem unsichtbaren Gebilde immer wieder ungeklärte Morde zugeschrieben. Die Dominanz des Militärs in der Politik ließ lange keine innenpolitischen Lockerungen zu.

Erst Erdoğan schränkte den Spielraum des Militärs stark ein, verbannte Offiziere aus allen möglichen Gremien, bis hin zur Medienaufsicht. Dafür wurde er von der EU gelobt. Beifall gab es auch von vielen regierungskritischen Intellektuellen für diese Zivilisierung, denn alle gewaltsamen Einmischungen der Generäle in die Politik hatten einen hohen Preis. Immer wieder wurden danach die Gefängnisse gefüllt, die Folterer machten sich ans Werk.

Offizieren, die offenbar den neuen Zeitgeist nicht verstanden hatten, machte man den Prozess. Wegen angeblicher Putschplanspiele - die aber nie umgesetzt wurden - sind 2013 zahlreiche ranghohe Offiziere zu hohen Haftstrafen verurteilt worden. Der Prozess war wegen der unklaren Beweislage hochumstritten. Im April 2016 wurden die Urteile vom Obersten Gerichtshof überraschend wieder aufgehoben, mit der Begründung: Die Existenz der angeblichen Verschwörergruppe mit dem Namen "Ergenekon" (benannt nach einer mythischen Sage) sei nicht nachgewiesen worden. Das sorgte für reichlich Spekulationen. Erdoğan wolle das Militär besänftigen, die Prozesse gegen hohe Offiziere hätten viel Unruhe in die Armee getragen, hieß es. Gleichzeitig gab es mehrere "Säuberungswellen". Aus dem Dienst entlassen wurden immer wieder Offiziere, die unter dem Verdacht standen, der Bewegung Gülens anzugehören.

Auch aus der Polizei wurden in der jüngsten Vergangenheit reihenweise angebliche Gülen-Anhänger entfernt - vor allem nachdem Ende 2013 viele Polizisten an Korruptionsermittlungen gegen Regierungspolitiker und Erdoğan-Freunde teilgenommen hatten. Erdoğan wertete alle Korruptionsvorwürfe als Komplott, orchestriert allein von Gülen, und ließ den Sicherheitsapparat, wie die Justizbehörden mit harter Hand von allen einschlägig befassten Ermittlen säubern.

Flucht nach Griechenland

Am Putschwochenende war es nun die Polizei, die in Istanbul gegen die Soldaten vorging, welche die Bosporus-Brücken in Beschlag genommen hatten. Auch das Putschistenkommando, das den privaten TV-Sender CNN Türk kurzfristig besetzte, wurde von der herbeigerufenen Polizei überwältigt. Das alles konnte man in Echtzeit im Fernsehen, über Facebook und Twitter verfolgen. Auch das unterschied diesen Staatsstreichversuch von früheren Putschen; wer wollte, war live dabei.

Und auch das hätte es früher nicht gegeben: Acht türkische Offiziere und Unteroffiziere flüchteten mit einem Hubschrauber ins benachbarte Griechenland und baten dort um Asyl. Griechenland galt lange als Erzfeind der Türkei, die türkische Luftwaffe kann bis heute das Provozieren nicht lassen, Griechenland meldet immer wieder Luftraumverletzungen und gefährliche Begegnungen mit eigenen Jets. Ankara hat schon die Auslieferung der acht "Verräter" verlangt.

Die Regierung von Alexis Tsipras aber sieht sich in einer Zwickmühle. Es gibt einen Vertrag von 1957, der die Unterschriften von Vertretern beider Länder trägt. Danach sind keine Auslieferungen an das jeweils andere Land möglich, wenn es sich um militärische oder politische Delikte handelt. Die Türken mussten bereits vor der Staatsanwaltschaft in Alexandroupolis aussagen. Ihnen wird unerlaubte Einreise nach Griechenland vorgeworfen. Sie sind derzeit aber auch die einzigen türkischen Militärvertreter im Ausland, denen eine Beteiligung an dem Putschversuch vorgehalten wird.

Wer sich nun erhofft hatte, die acht könnten Aufklärung darüber geben, wer wirklich hinter der Aktion steckte - ob Gülen oder Atatürk-Freunde - der sah sich enttäuscht. Denn die Türken behaupten, sie hätten von einem Putsch gar nichts gewusst, seien nur für Krankentransporte zuständig gewesen, unter Beschuss geraten und geflohen. Warum sie dies mit einem Polizeihubschrauber taten, ist bislang ebenso unklar wie der Wahrheitsgehalt der Geschichte.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: