Süddeutsche Zeitung

Ahmed Tschalabi:Zweifelhaftes Comeback im Irak

Ahmed Tschalabi könnte der neue starke Mann im Irak werden. Doch sein Name weckt unangenehme Erinnerungen - vor allem bei den USA.

Von Sonja Zekri, Kairo

Vieles im umkämpften Irak erscheint neu und alt zugleich - die Schauplätze der Kämpfe, der Hass, das Dilemma für Amerika. Und nun könnte ein besonders bemerkenswertes politisches Comeback anstehen: Ahmed Tschalabi, eine der umstrittensten Figuren während des amerikanischen Einmarsches, hat Aussichten auf das Amt des Premierministers. Dass Amtsinhaber Nuri al-Maliki gehen muss, darüber sind sich nicht nur Kurden und Sunniten einig. Der Schiit Maliki und seine Regierung gelten als Hauptverursacher für den sunnitischen Aufstand unter Führung der Dschihadisten des "Islamischen Staates". Das geben inzwischen auch Schiiten zu und distanzieren sich von ihm. Sie erwägen nach Berichten der Zeitung Al-Scharq al-Awsat, Tschalabi als einen von zwei möglichen Nachfolgern für Maliki im komplizierten Prozess der Machtverteilung zu präsentieren.

Ahmed Tschalabi hatte den Irak mit seinen Eltern 1956 als Kind verlassen, in Amerika, Großbritannien und Libanon gelebt, Mathematik studiert, eine Bank in Jordanien gegründet, aber das Land nach Vorwürfen des Bankbetruges wieder verlassen müssen. Aus dem Exil heraus hat er Jahrzehnte lang auf den Sturz des irakischen Machthabers Saddam Hussein hingearbeitet. Mit CIA-Geld finanzierte er kurdische Kämpfer gegen Saddam und benahm sich insgesamt wie der Botschafter eines besseren Irak. Mit dem Beginn der Bush-Ära in den USA schlug seine Stunde.

Washington ließ sich von Tschalabi zum Narren halten

Vor dem Einmarsch der Amerikaner lieferte er vermeintliche Kronzeugen für vermutete irakische Massenvernichtungswaffen, unter anderem wohl auch den angeblichen Überläufer "Curveball" alias Rafid Ahmed Alwan al-Janabi. Er erzählte Lügen, wie man heute weiß. Die vermeintlichen mobilen Chemie- oder Biowaffenlabore gab es nicht. Damals aber, so sagen Kritiker, glaubten die Neokonservativen um Vizepräsident Dick Cheney Tschalabi, weil sie ihm glauben wollten. Ein ehemaliger CIA-Mitarbeiter sagte: "Mit Tschalabi haben wir uns selbst zum Narren gehalten."

Im Irak nach dem Sturz Saddams, so zeigte sich bald, flackerte Tschalabis Stern noch einmal auf, um dann so gut wie zu erlöschen. Seine Partei Irakischer Kongress schnitt bei den Wahlen katastrophal ab, er selbst brachte es noch einmal zum Öl-Minister und später zum Leiter der Entbaathifizierungskampagne gegen ehemalige Anhänger der Saddam-Partei. Aber weder Amerikaner noch Franzosen oder Europäer wollten mit ihm länger etwas zu tun haben: Tschalabi galt als Aufschneider und, nachdem er später sein Schiitentum ausspielte, als Anwalt Irans.

Aber solche Spitzfindigkeiten kann sich angesichts des drohenden Zerfalls keiner mehr leisten. Die schiitische "Nationale Irakische Allianz" könnte Tschalabi als Premier vorzuschlagen - oder Ex-Vizepräsident Adel Abdul Mahdi. Ein Sprecher des Blocks um den Schiitenprediger Moqtada al-Sadr begründete den Schritt mit den Worten, die Situation sei schwierig, aber angesichts der extremen Umstände müsse man eine patriotische Lösung suchen. Selbst die Amerikaner könnten anscheinend mit Tschalabi leben: Sie empfangen ihn wieder in ihrer Botschaft.

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SZ vom 03.07.2014/ratz
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