Aggressiver Asylstreit in Berlin:Die netten Rechten von nebenan

Geplante Notunterkunft in Marzahn-Hellersdorf

"Asylbewerberheim in Marzahn-Hellersdorf verhindern!" - mit diesen Plakaten wurde vor der Informationsveranstaltung Anfang Juli gegen das geplante Asylbewerberheim in dem ehemaligen Schulgebäude im Hintergrund Stimmung gemacht.  

(Foto: dpa)

Noch nie wurde in Berlin so erbittert gegen ein Asylbewerberheim gekämpft, wie jetzt im Bezirk Marzahn-Hellersdorf. Maßgeblich beteiligt ist eine Initiative, die Ängste der Anwohner schürt - und jene bedroht, die sie in Verbindung zur NPD setzen. Das Bezirksamt ist überfordert.

Von Antonie Rietzschel, Berlin

Er soll das Haus schützen: "Vor Rechtsextremen, die Fenster einschmeißen oder Molotowcocktails werfen." Der Mitarbeiter einer Sicherheitsfirma, der anonym bleiben möchte, sitzt auf einem niedrigen Stuhl. Direkt vor dem Eingang einer ehemaligen Schule, in die 200 Flüchtlinge aus Syrien einziehen sollen, hat er seinen Posten bezogen. Von hier aus kann man die komplette Straße überblicken. In dem Plattenbau gegenüber gießt eine ältere Dame Blumen. Keine randalierenden Rechtsextremen weit und breit. Dennoch stimmt es nicht, wenn der Wachmann sagt: "Alles ruhig".

Fast einen Monat, nachdem sich auf einer Bürgerversammlung Pogromstimmung breitmachte, ist die Lage im Bezirk Marzahn-Hellersdorf angespannt. Damals brüllten die Gegner den Bezirksbürgermeister mit Äußerungen wie "Volksverräter" oder "Wir sind hier in Deutschland" nieder. Heute werden fast täglich vor dem Gebäude Slogans wie "Nein zum Heim" mit Kreide auf die Straße geschrieben. Immer wieder tauchen Flyer auf, auf denen gegen die Flüchtlingsunterkunft gehetzt wird und es gibt Drohungen gegen die Befürworter. Noch nie habe sie erlebt, dass in Berlin so aggressiv Stimmung gegen ein Asylbewerberheim gemacht wurde, sagt Martina Mauer vom Berliner Flüchtlingsrat.

Herausragender Fall

So wie in Marzahn-Hellersdorf sind auch Anwohner anderer Bezirke wütend. Weil die Zahl der Asylbewerber in der Hauptstadt wie in ganz Deutschland steigt, muss Platz für neue Unterkünfte geschaffen werden. In Berlin gibt es auch Widerstand im Westend und in Reinickendorf. Dort hat eine Wohnungseigentümergemeinschaft den Kindern einer entsprechenden Einrichtung sogar verboten, auf ihrem Spielplatz zu spielen. "Doch Marzahn-Hellersdorf", sagt Mauer, "ist ein herausragender Fall."

Hinweise, dass die NPD maßgeblich daran beteiligt ist, gab es früh. Der Vorsitzende der Berliner Nationaldemokraten, Sebastian Schmidtke, wurde bereits während der Informationsveranstaltung Anfang Juli, bei der der Bezirksbürgermeister die Pläne vorstellte, gesichtet. Er rief in ein Mikro: "Wir sind selbstverständlich gegen das Heim." Die Mehrheit der 800 Zuhörer, darunter Rentner und junge Familien, jubelten und klatschten. Viele von ihnen waren der Aufforderung der "Bürgerinitiative Marzahn-Hellersdorf" gefolgt, an der Versammlung teilzunehmen. Zuvor hatte die in einem Flyer gegen die Pläne der Notunterkunft gehetzt.

Antonie Rietzschel

Bis 2008 war in dem Plattenbau ein Gymnasium untergebracht. Seitdem stand es leer.

(Foto: Antonie Rietzschel)

Auch Matthias Wichmann, der für die NPD im Bezirksrat sitzt und direkt gegenüber dem künftigen Asylbewerberheim wohnen soll, ist offenbar in der anonym agierenden Bürgerinitiative aktiv. Presserechtlich verantwortlich war kurzzeitig Thomas Crull. Der kandidierte 2011 für die NPD im Bezirk.

Dass die NPD nur eine Woche nach der denkwürdigen Informationsveranstaltung durch die Stadt tourte, um gegen Asylbewerberheime zu protestieren und dabei auch in Marzahn-Hellersdorf Halt machte - Martina Mauer vom Flüchtlingsrat glaubt nicht an einen Zufall.

Auf Facebook versuchen die Mitglieder der Bürgerinitiative jedoch, sich den Anschein besorgter Bürger ohne parteipolitischen Hintergrund zu geben. Angebliche Anwohner werden mit ihren Sorgen zitiert. Sie fühle sich von der Politik im Stich gelassen, heißt es von einer Frau. "Wir überlegen, nächstes Jahr hier wegzuziehen", meint eine andere.

Die Anwohner fühlen sich von der Entscheidung des Bezirks überrumpelt. Genau da setzt die Initiative an, wenn sie die Audiodatei einer Bürgersprechstunde mit der Sozialstadträtin online stellt. Die Fragen zum Heim werden dort zwar souverän beantwortet. Deren Bandbreite reicht jedoch von "Wie kam die Entscheidung zustande?" bis hin zu "Was macht der Staat für die Deutschen?"

Professionelles Auftreten

Gleichzeitig organisiert die Initiative Kiez-Spaziergänge, bei denen mit Kreide Sprüche auf die Straße geschrieben werden. Die Fotos landen anschließend auf der Facebookseite. Ganz oben auf der Seite steht derzeit ein Video von Migranten, die die deutsche Nationalhymne nicht korrekt singen können. Mittlerweile hat sie mehr als 2000 Likes.

Wer die Initiative jedoch in die rechte Ecke stellt, muss mit Drohungen rechnen. So geschehen im Fall der grünen Bezirksverordneten Rafaela Kiene. Sie solle sich "offen für die Beleidigungen und Verleumdungen (...), welche sich ganz klar gegen die Bürger von Marzahn-Hellersdorf richten", entschuldigen, zitiert der Berliner Tagesspiegel aus einer Facebooknachricht. "Sie haben klarzustellen, dass hier weder die NPD noch sonst ein Verein die BI unterstützt", heißt es weiter. Sollte Kiene sich dem verweigern, "werden wir Sie öffentlich bekannt geben und unseren Befürwortern empfehlen, Sie anzuzeigen". Nun hat Kiene selbst Anzeige gegen die Initiative erstattet.

Mittlerweile hat auch das Bezirksamt reagiert und ein Netzwerk gegründet. Anfang August haben sich Vertreter von Kirchen, Polizei und Flüchtlingsinitiativen getroffen, die das Heim befürworten. Gemeinsam haben sie sich Gedanken gemacht, wie sie den Flüchtlingen helfen können. Durch Aufrufe in den Medien sollen beispielsweise Spenden gesammelt werden. Doch es ging auch darum, wie die Anwohner besser informiert werden können. Mittlerweile steht eine Übersicht zu den wichtigsten Fragen zum Asylbewerberheim auf den Webseiten des Bezirksamts - ein Ergebnis des Treffens.

Antonie Rietzschel

NZH - die Abkürzung für "Nein zum Heim" ist mit Kreide auf die Straße geschrieben.

(Foto: Antonie Rietzschel)

"Außerdem gibt es Überlegungen, Flyer zu verteilen und mit den Anwohnern zu sprechen", sagt Michael von der Initiative "Hellersdorf hilft Asylbewerbern", die auch Grünen-Politikerin Kiene unterstützt. Der Student möchte ungern seinen Nachnamen in den Medien lesen. Er habe Familie in dem Wohnbezirk, sagt der Student - und möchte nicht, dass irgendwann ungebetene Gäste vor deren Tür stehen.

Dass es ein breites Bündnis gegen die rechten Umtriebe im Bezirk gibt, findet Michael grundsätzlich gut. Jedoch glaubt er nicht daran, dass das Bezirksamt es so bald schaffen wird, den Aktionismus der "Bürgerinitiative Marzahn-Hellersdorf" zu brechen. Die Wege in der Verwaltung seien zu lang, sagt er. Allein bis die "Fragen und Antworten" des Netzwerkes online gestellt wurden, seien drei Tage vergangen. Für die Übernahme von Flyer-Druckkosten müsste erst ein Antrag gestellt werden.

Die Flüchtlinge sind noch nicht da

"Mit den Aktivitäten der 'Bürgerinitiative Marzahn-Hellersdorf' kann das Bezirksamt nicht mithalten", sagt auch Martina Mauer vom Flüchtlingsrat Berlin. Erst kürzlich habe sie einen Flyer der Initiative gesehen, auf dem erklärt wird, wie die Entscheidung für das Heim zustande gekommen ist. "Sehr professionell gemacht."

Und die Flüchtlinge? Eigentlich sollten sie in dieser Woche einziehen. Doch wegen eines zwischenzeitlichen Baustopps hat sich der Termin verschoben. Auf wann ist unklar. Zwischen zwei bis vier Wochen könne es dauern, heißt es im Landesamt für Gesundheit und Soziales.

Vielleicht reicht die Zeit, um die Anwohner doch noch mit dem Asylbewerberheim zu versöhnen. Aber auch den Gegnern bliebe damit die Möglichkeit, deren Verunsicherung noch stärker für sich zu nutzen. Und die ist allgegenwärtig: Sie habe Angst, dass ihr Junge von den Flüchtlingen bedroht wird, sagt eine Mutter, die mit ihrem Sohn an dem Gebäude vorbeiläuft. "Wenn die da sind, werde ich ihn nicht allein zur Schule lassen."

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