Aggressive Signale aus Pjöngjang:Was Nordkoreas Drohungen bedeuten

North Korea announces state of war with South Korea

Kim Jong Un unterzeichnet Pläne für einen Militäreinsatz - ausgerechnet vor einer Tafel, die mit "Angriffsplan auf das US-Festland" beschriftet ist.

(Foto: dpa)

Verbale Muskelspiele oder ernstzunehmende Gefahr eines bewaffneten Konflikts? Kim Jong Un verkündet den "Kriegszustand" und droht den USA mit einem Angriff. Experten halten konkrete Kriegspläne des Diktators für unwahrscheinlich - warnen aber davor, die Situation zu unterschätzen.

Von Matthias Huber

Drohgebärden aus Nordkorea: Kim Jong Un versucht, Südkorea und die USA mit immer neuen Provokationen vor sich her zu treiben. Auf einem Foto, das die Regierung in Pjöngjang verbreiten ließ, ist der Diktator vor einer Karte zu sehen, die mit "Angriffspläne auf das US-Festland" beschriftet ist. Linien, die womöglich Flugbahnen von Raketen darstellen sollen, weisen unter anderem auf Los Angeles und New York.

In einer Erklärung bezeichnete Kim den Waffenstillstand, den Nordkorea kurz zuvor aufgekündigt hatte, als diffusen Zustand zwischen Frieden und Krieg. Jetzt habe sich die Gewichtung eben verschoben - der kommunistische Staat befinde sich in einem "Kriegszustand". Ausgelöst hätten dies, laut nordkoreanischer Rhetorik, die gemeinsamen Truppenmanöver der Südkoreaner mit den USA, an denen erstmals sogar zwei US-Tarnkappenbomber teilgenommen haben.

Doch was steckt wirklich hinter den martialischen Ansagen aus dem kommunistischen Land, das sogar den USA mit einem Atomkrieg droht? "Eine Show aufzuziehen ist nicht das selbe, wie tatsächlich etwas zu unternehmen", sagte ein Mitarbeiter der US-Regierung zur Washington Post. "Obwohl die Situation als Krieg bezeichnet wird, darf man das auf keinen Fall damit verwechseln, dass Kim einen Krieg will oder gar in den Krieg zieht."

"Gut möglich, dass er versucht, sich als harten Kerl darzustellen"

Stattdessen geht es wohl eher darum, durch das außenpolitische Säbelrasseln innenpolitische Legitimität zu gewinnen. "Kim muss sich seinem Volk als starker Führer präsentieren", sagte Professor Jun-Ho Chang, Politikwissenschaftler an der Gyeongin National University of Education in Seoul, zu Süddeutsche.de. Der Diktator habe es als politisch unbeschriebenes Blatt womöglich mehr als sein Vater Kim Jong Il oder sein Großvater Kim Il Sung nötig, seinen Status zu überhöhen. "Sein Vater hat keine so starke Rhetorik verwendet", erklärte Chang weiter.

Der ehemalige US-Botschafter in Seoul, Christopher Hill, geht ebenfalls davon aus, dass Kim hauptsächlich daran gelegen ist, als militärisch kompetent wahrgenommen zu werden: "Ich glaube nicht, dass das nordkoreanische Volk zu ihm eine Verbindung aufgebaut hat. Gut möglich, dass er versucht, sich als harten Kerl darzustellen", sagte Hill der Washington Post. Deshalb nehme man, so ein weiterer Mitarbeiter der US-Regierung zur New York Times, Kims Aussagen weniger wichtig als mögliche Taten: "Wir sind besorgt, was er als nächstes tut, aber nicht, was er als nächstes androht."

Experten sprechen von schärferem Ton als üblich

Nach Ansicht von Professor Chang könnte der nordkoreanische Machthaber vorhaben, die Abmachungen mit dem Süden erst auszuschalten - um sie wenig später wieder neu zu vereinbaren: "Kim möchte Dialogführer werden, sich selbst als derjenige darstellen, der die Gegner in die Schranken gewiesen hat. Dafür ist das Manöver der amerikanischen und südkoreanischen Truppen eine gute Gelegenheit."

Unterschätzen dürfe man die Situation aber auf keinen Fall. "Der Ton ist schon deutlich schärfer, als wir es aus den letzten Jahren gewohnt sind", sagte Chang. "Für Experten ist das durchaus ein Warnsignal, auch wenn die südkoreanische Bevölkerung es noch nicht als so bedrohlich empfindet." Beobachter in den USA sprechen ebenfalls von einem erhöhten Risiko für einen begrenzten bewaffneten Konflikt - wobei ein direkter Angriff auf US-Truppen im Pazifik oder gar auf das amerikanische Festland unwahrscheinlich ist.

"Die kriegerische Rhetorik aus Nordkorea vertieft nur die Isolation des Landes", sagte US-Regierungssprecher Josh Earnest in Miami. Catherine Wilkinson, eine Sprecherin des Pentagons, addressierte außerdem eine Warnung: "Die USA werden Nordkorea nicht als Atommacht akzeptieren; und wir werden auch nicht tatenlos zusehen, während es eine mit einem Atomsprengkopf bestückte Rakete entwickelt, die die Vereinigten Staaten erreichen kann."

Südkorea muss Abschreckung aufrecht erhalten

Auch wenn Kim gar keinen Krieg plane, könne die Situation leicht eskalieren, warnt Aidan Foster-Carter, Korea-Forscher an der Universität von Leeds, in einem Gastbeitrag für den britischen Guardian. "Der Kreislauf von Provokation und Reaktion - was was ist, hängt davon ab, auf welcher Seite man steht - könnte außer Kontrolle geraten."

Zum Beispiel, wenn etwas Ähnliches geschieht wie 2010: Damals wurde ein Schiff der südkoreanischen Marine von einem Torpedo getroffen und versenkt - 49 Besatzungsmitglieder starben. Wer das Geschoss abfeuerte, ist nicht bewiesen, aber ein nordkoreanisches U-Boot war nach Ansicht der meisten Experten die plausibelste Erklärung. Südkorea verzichtete damals auf einen Vergeltungsschlag.

Dies kann sich das Land jedoch nicht noch einmal leisten, will es die Abschreckung gegenüber dem nördlichen Bruderstaat aufrecht erhalten. Ein weiterer Hacker-Angriff wie derjenige, der am Mittwoch südkoreanische Medien und Banken teilweise lahmlegte, könnte bereits eine solche Provokation sein, die Südkorea zur Reaktion zwingt.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: