Agenda-Debatte:Müntefering macht es spannend

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Die SPD rätselt, wie der Vizekanzler sich im Streit um das Arbeitslosengeld I weiter verhalten wird.

Nico Fried

Was will dieser Mann? Am Dienstag, nach seinem Treffen mit Parteichef Kurt Beck, hatte Franz Müntefering seine Niederlage eigentlich schon eingestanden. Öffentlich. Er erwarte, dass die SPD Becks Vorschlag für eine Verlängerung des Arbeitslosengeldes I folgen werde, sagte der Vizekanzler bei seinem Auftritt in Frankfurt.

Trotzdem zieht Müntefering seither durchs Land und lässt kaum ein Mikrofon aus, um weiter für seine Position zu werben. Im Fernsehen, im Hörfunk, vor Wirtschaftsvertretern in Berlin genauso wie an der Basis in Heilbronn. Die Demokratie müsse das aushalten, sagt Müntefering. "Das ist besser, als wenn ich unterm Tisch herkrieche und sage: Das war alles nicht so gemeint."

In der Partei rätseln sie nun, wann Müntefering damit aufhören wird. Ob er überhaupt aufhören wird, und was sonst noch alles passieren könnte. Am Montag tagt in Berlin der Parteivorstand. Noch einmal wird der Arbeitsminister dann sagen, dass er es für besser hielte, in die Qualifikation und Weiterbildung von älteren Arbeitslosen zu investieren, statt die Betroffenen länger in der Passivität zu lassen. Der Vorstand wird dennoch mit voraussichtlich klarer Mehrheit für Beck und dessen Vorschlag stimmen. Hört Müntefering dann auf?

Am Freitag beginnt der Parteitag in Hamburg. Formal gibt Müntefering den Bericht aus der Bundesregierung ab. Das kann er allerdings auch schriftlich erledigen. Wann und wie der Arbeitsminister sich auf dem Parteitag wirklich zu Wort melden werde, sei noch offen, so Münteferings Sprecher Stefan Giffeler. Auf die Entscheidung über das Arbeitslosengeld wird das kaum Einfluss haben. Die Delegierten werden Beck ohnehin folgen. Hört Müntefering dann auf?

Eigenes Mandat

Vor zwei Jahren, auf dem Parteitag in Karlsruhe, wurde die gesamte SPD-Spitze neu gewählt: Vom Vorsitzenden, damals Matthias Platzeck, bis zu den Vorstandsmitgliedern. Zusätzlich aber gab es noch eine besondere Abstimmung: Franz Müntefering, eben vom Parteivorsitz zurückgetreten, ließ sich 2005 von den Delegierten als Vizekanzler und damit Anführer des SPD-Ministerrudels ins Kabinett entsenden. Er verschaffte sich ein eigenes Mandat, in weiser Voraussicht, dass er als Regierungsmitglied bisweilen andere Positionen würde vertreten müssen als die Partei.

So kam es auch. Am deutlichsten Anfang 2006 bei der Rente mit 67, die im Koalitionsvertrag so lange einstaubte, bis einige Unions-Politiker sie sogar grundsätzlich in Zweifel zogen. In einem Überraschungsangriff überwältigte Müntefering seinerzeit die Kanzlerin, das Kabinett und vor allem seine SPD. Damals fügte sich die Partei, wenn auch mit Bauchgrimmen - inklusive eines wahlkämpfenden rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten namens Kurt Beck.

Es folgte das Thema Mindestlohn, bei dem Müntefering, der lange skeptisch war, auf die Linie der Partei einschwenkte. Damals konnte man den Eindruck gewinnen, dass der Vizekanzler sich mit seinen Genossen wieder vereinen wolle, zumal er auf der anderen Seite erstmals auf große Distanz zur Kanzlerin ging.

Jetzt aber, im Streit um das Arbeitslosengeld, hat sich Müntefering wie nie zuvor in zwei Jahren Großer Koalition wieder vom Mehrheitswillen der SPD entfernt. Und von Kurt Beck, der inzwischen Parteichef ist. Konsequenterweise stellt sich die Frage, wie Müntefering seine SPD weiter in der Regierung vertreten will, nicht nur beim Arbeitslosengeld, sondern ganz generell. Franz Müntefering - nur noch ein freischaffender Künstler im Kabinett? Schwer vorstellbar.

Die Bedeutung von "weil" und "wenn"

Zumindest denkbar wäre deshalb, dass Müntefering in Hamburg unabhängig vom Arbeitslosengeld sein Mandat als Vizekanzler zur Debatte stellt. Es würde passen zu jenem Satz, den er ebenfalls seit Tagen immer wieder gesagt hat, und der allgemein als Dementi etwaiger Rücktrittsgedanken gewertet wurde: "Ich bin Minister und Vizekanzler, weil und wenn meine Partei es so will." Das "weil" bezieht sich auf Karlsruhe. Das "wenn" könnte sich auf Hamburg beziehen. Wie anders als durch eine Abstimmung sollte die SPD ihrem Vizekanzler signalisieren, dass sie ihn weiter an der Seite von Angela Merkel sehen möchte?

In Karlsruhe erhielt Müntefering eine klare Mehrheit - auch weil viele Sozialdemokraten noch unter dem Schock seines Rücktritts vom Parteivorsitz standen. Die Abstimmung damals war in Teilen eine nachträgliche Solidaritätserklärung, praktisch unverlierbar. Diesmal wäre das Risiko größer: Mit einer klaren Mehrheit wäre Müntefering, der Verlierer im Machtkampf mit Beck, plötzlich wieder auf Augenhöhe mit dem Parteichef. Je schwächer aber das Ergebnis, desto geschwächter wäre auch seine Position.

Wenn SPD und Union Änderungen beim Arbeitslosengeld wollten, so Müntefering in Frankfurt, könne ein Arbeitsminister das nicht ignorieren. Er sagte "ein Arbeitsminister" - nicht "ich".

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