Süddeutsche Zeitung

Afrikareise des Bundespräsidenten:Die Revolution steht noch bevor

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Frank-Walter Steinmeier trifft in Sudan die Aktivisten, die den Sturz des Diktators Omar al-Baschir herbeigeführt haben. Dessen Macht wirkt noch nach. Nun muss sich zeigen, ob das Land bereit ist für eine Demokratie.

Von Anna Reuß, Khartum

Sie ist 37 Jahre alt - die meiste Zeit ihres Lebens kannte sie niemand anderen als Omar al-Baschir an der Spitze des Staates. Mona Abulgasim Seifeldin ist eine von vielen Frauen und Männern, welche die Proteste im Sudan organisiert haben. Ende 2018 begannen Menschen im ganzen Land auf die Straße zu gehen. "Frauen wurden unter der Diktatur besonders unterdrückt", sagt die Doktorandin der Uni Khartum. "Wir mussten den Preis für die Freiheit bezahlen." Mit Mona Abulgasim Seifeldin und anderen Anführern der Proteste traf sich Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am Donnerstag während seines Besuchs in Sudans Hauptstadt Khartum.

Eigentlich sollte er ihnen auf dem Gelände der Universität begegnen, der Termin wurde jedoch wenige Stunden vorher in die Räume der Residenz des deutschen Botschafters verlegt. Die politische Situation sei zu fragil, so die sudanesischen Behörden. Steinmeier würdigte den Mut der Demonstranten, die friedlich protestierten, um die Gewaltherrschaft ihres Diktators zu beenden. Zum Abschied überreichte die Gruppe Steinmeier ein Geschenk mit hohem ideellen Wert: Der originale Plan der Proteste - eine Karte der Stadt Khartum mit handschriftlichen Notizen. Ein Symbol für die Errungenschaft des sudanesischen Volks zum dritten Mal in ihrer Geschichte, nach 1964 und 1985, einen Diktator gestürzt zu haben.

Seit dem 11. April ist al-Baschir Geschichte - die glamouröse Residenz tauschte er mit einer Zelle im Gefängnis Kober ein. Nun soll er an den Internationalen Strafgerichtshof Den Haag ausgeliefert werden. Seit dem Sturz des Diktators regiert im Sudan ein Souveräner Rat, der aus Militärangehörigen und Zivilisten besteht. Steinmeier traf den Präsidenten des Gremiums, General Burhan, im Präsidentenpalast, wo vor einem Jahr noch der Diktator residiert hatte.

"Die Welt sollte erkennen, dass sie Sudan zur Seite stehen muss", sagte Steinmeier. Deutschland wird das Land mit 80 Millionen Euro unterstützen. Auf seiner fünftägigen Reise durch Sudan und Kenia war er viel im Austausch mit der Zivilbevölkerung. Dabei stand vor allem die Frage im Fokus, wie Deutschland die Staaten Afrikas mit Bildungskooperationen unterstützen kann, um jungen Erwachsene eine gute Ausbildung und somit Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu ermöglichen. In den sozialen Netzwerken verbreiteten junge Sudanesen eine Fotomontage, die Steinmeier neben einem jungen Mann namens Abass zeigt, der, so der Text des Posts, als Märtyrer während der Proteste gestorben war. Die Dynamik des Posts zeigt, welche Bedeutung der Besuch des Bundespräsidenten für die sudanesische Gesellschaft hat.

Die Sudanesen hoffen, dass der Besuch Steinmeiers auch in den USA wahrgenommen wird

Die internationale Gemeinschaft ist gespannt, ob das Land die Lehren aus seinen Nachbarländern Libyen und Ägypten ziehen kann, wo vor neun Jahren Massenproteste zum Sturz der Diktatoren geführt hatten. Zur Revolution, die damals in der ganzen Welt als solche gefeiert worden war, kam es allerdings nicht.

Die Situation im Sudan ist fragil, das macht auch Steinmeier nach einem Treffen mit Sudans Premierminister Abdalla Hamdok deutlich. Der Ökonom lebte lange im Ausland und gilt als überzeugter Reformer. Bevor er Minister der Übergangsregierung nominierte, beklagte er den niedrigen Frauenanteil im Verhandlungsteam der Opposition. Im November hob die sudanesische Regierung alle Gesetze auf, die die Freiheit von Frauen einschränkten, etwa Bekleidungsvorschriften. Hamdok muss jedoch gewaltige Probleme lösen. Der Sudan steht nach wie vor auf der amerikanischen Liste der "Schurkenstaaten". Die USA hatten Sudan 1993 auf die sogenannte Terrorliste gesetzt, weil es "internationale terroristische Gruppen unterstützt". Die neue Regierung will das dringend ändern. Nach Jahrzehnten der Isolation unter dem Islamisten al-Baschir will sie gute Beziehungen zum Westen aufbauen und ein Ende der US-Sanktionen.

In Khartum hofft man wohl, dass Steinmeiers Besuch auch in Washington wahrgenommen wird. Der Bundespräsident sagte nach dem Treffen mit Hamdok, dass die internationale Gemeinschaft Sudan "Zugang zu internationalen Finanzinstitutionen" ermöglichen müsse. Die Wirtschaft ist instabil. Bricht sie zusammen, kann das den Weg in eine neue Demokratie gefährden. Der Sudan hat eine der höchsten Inflationsraten der Welt von mehr als 60 Prozent. Im Landeanflug auf Khartum sind in der Stadt lange Schlangen an Tankstellen zu sehen. Die Menschen sind unzufrieden.

Bricht die Wirtschaft zusammen, sind die Aussichten für eine neue Ära der Demokratie gefährdet.

Funktionäre in den Behörden und das Militär haben kein Interesse an Demokratie

Neben der schwachen Wirtschaft könnte sich auch der "deep state", der Staat im Staat, als Hindernis für den Übergang zu einer gewählten Regierung erweisen. Die Behörden sind durchsetzt mit Funktionären aus der Ära al-Baschirs, die wenig eigenes Interesse an Parteienpluralismus und Demokratie haben. Auch das Militär ist nach wie vor stark. Al-Baschir hatte in den dreißig Jahren an der Macht ein Kapillarsystem im Staat errichtet aus Geheimdiensten, Milizen und der Armee.

Bei der geplanten Parlamentswahl Ende 2022 ist es laut Verfassungserklärung weder den Mitgliedern des Souveränen Rates noch den Ministern erlaubt, anzutreten. Ob die Zusammenarbeit zwischen Militär und Zivilisten bis zum geplanten Ende der Übergangsphase hält und Generäle und Milizen wirklich die Macht abgeben, ist keineswegs ausgemacht.

Der Präsident des Souveränen Rates, Burhan, ist international und im Sudan selbst umstritten, ihm und seinem Stellvertreter Mohammad Daglo, genannt Hemedti, werden Kriegsverbrechen vorgeworfen. Er ist der Kommandant der paramilitärischen "Rapid Support Forces" (RSF) und war lange ein enger Vertrauter al-Baschirs, wandte sich aber noch rechtzeitig von ihm ab.

Als Demonstranten und Militär im Sommer um die Macht rangen, richteten die RSF-Milizen ein blutiges Massaker mit mindestens 100 Toten an - unter ihnen war Abass, der Märtyrer. Mehr als 70 Frauen wurden vergewaltigt, Soldaten sollen Frauenunterwäsche an Stangen hochgehalten haben, um die Demonstrantinnen einzuschüchtern. Vor allem die Frauen in Sudan hätten es verdient, nie wieder so etwas erleben zu müssen, sagt die Aktivistin Mona Abulgasim Seifeldin. "Davor habe ich Angst", sagt sie. "Wir sind noch lange nicht am Ende." Die größten Aufgaben stehen noch bevor.

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SZ vom 29.02.2020
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