Süddeutsche Zeitung

Afrikanische Flüchtlinge:Italien verstößt gegen die Menschenrechte

Das Antifolterkomitee des Europarates stellt Italien an den Pranger: Die Abschiebepraxis dort verstoße gegen alle humanitären Grundsätze.

Johannes Boie, Brüssel

Italien verstößt gegen die Menschenrechte. Zu diesem Schluss kommt das Antifolterkomitee des Europarates. Ein entsprechender Bericht wurde am Mittwoch in Brüssel veröffentlicht. Er richtet sich an die italienische Regierung, deren Antwort auf den Bericht zeitgleich veröffentlicht wurde.

Das Antifolterkomitee kritisiert in seinem Dokument die italienische Ausweisungsstrategie, mit der illegale Einwanderer aus afrikanischen Ländern wieder nach Algerien und Libyen geschickt werden. Das Komitee untersuchte dafür Fälle von Flüchtlingen, die zwischen Mai und Juli 2009 versuchten, über das Mittelmeer nach Italien zu gelangen.

Der italienischen Regierung wird ferner vorgeworfen, Abschiebegesetze zu verletzen, weil die Flüchtlinge in Länder zurückgeschickt würden, in denen sie möglicherweise Folter und anderen "unmenschlichen Bestrafungen" ausgesetzt seien.

Die Praxis, Flüchtlinge auf dem offenen Meer durch die Küstenwache abzufangen, müsse in Frage gestellt werden, fordert das Komitee. Italien sei an geltendes Recht auch dann gebunden, wenn die Küstenwache außerhalb des Staatsterritoriums agiere. Flüchtlinge seien während des untersuchten Zeitraumes weder individuell behandelt worden, noch hätten die italienischen Behörden ihnen wie vorgeschrieben Zugang zu Flüchtlingshilfswerken gewährt.

Die Mitglieder des Komitees betonten, dass insbesondere Libyen, wohin die meisten der Bootsflüchtlinge geschickt würden, kein sicheres Drittland sei. Den Flüchtlingen drohten dort stundenlange Fahrten in verriegelten Lastwagen, bei denen viele Schutzsuchende stürben. Außerdem würden sie durch die Polizei verletzt und sexuell misshandelt.

Außerdem sei die Arbeit des Komitees durch italienische Behörden behindert worden. "Ich finde es schockierend, dass Italien, das jahrzehntelang wegen der miserablen wirtschaftlichen Lage ein klassisches Auswanderungsland war, sich jetzt so schockierend verhält", sagte der Delegationsleiter des Antifolterkomitees, Jean-Pierre Restellini, am Mittwoch der Deutschen Presse-Agentur.

Die italienische Regierung wies die Vorwürfe in ihrem Antwortschreiben zurück. Die Flüchtlinge würden in "algerischem und libyschem Auftrag in internationalen Gewässern aufgehalten und zurückgeschickt". Es handele sich dabei um Such- und Rettungsaktionen. Kein einziger aufgegriffener Flüchtling habe zwischen Mai oder Juli um Asyl gebeten, andernfalls hätte man ihn auf das italienische Festland gebracht. "Wie sollen Menschen einen Asylantrag stellen, die völlig entkräftet von einem Schlauchboot getragen werden müssen, weil sie ohne Wasser und Nahrungsmittel die Fahrt über das Mittelmeer nur knapp überlebt haben?", kritisierte Restellini.

Die italienische Regierung betonte weiterhin, Libyen sei an internationale Abkommen gebunden und habe die Menschenrechte zu respektieren. Ein Büro des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) sei in dem Land geöffnet.

Das Antifolterkomitee des Europäischen Rates ist eine im Namen von 47 europäischen Staaten international handelnde Regierungsorganisation. Seine Mitglieder untersuchen die Haftbedingungen von Asylsuchenden und Kriminellen in europäischen Staaten. Zur Kontrolle gehören einerseits Ad-Hoc-Besuche wie im vergangenen Jahr in Italien, aber auch periodische Kontrollbesuche. Als Regierungsmitarbeiter bewegen sich die Kontrolleure in der Regel frei und ungehindert.

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SZ vom 29.04.2010/woja
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