Afrikabeauftragter der Bundesregierung:"Es liegt mir fern, die Verbrechen der Kolonialzeit zu relativieren"

  • Der Afrikabeauftragte der Bundesregierung Günter Nooke hat in einem Interview Kalten Krieg und Kolonialismus verglichen und afrikanische Gesellschaften als andersartig dargestellt.
  • Es ist nicht das erste Mal, dass sich der ehemalige DDR-Bürgerrechtler unüberlegt kontrovers äußert.
  • Fachpolitiker im Bundestag werfen ihm Rassismus und Geschichtsrevisionismus vor und fordern seinen Rücktritt.
  • Nooke ist sich keiner Schuld bewusst und beschwert sich über die Kritik.

Von Jana Anzlinger

Traurig blickt ein Kind aus Afrika vom Bildschirm herab auf den weißen Mann in graubraunem Anzug und roter Krawatte. Der steht im Fernsehstudio und sagt, er könne nicht abstreiten, "dass in afrikanischen Staaten in gewissem Sinne auch autoritärer manchmal regiert werden muss".

Der Mann ist Günter Nooke, der sich im ZDF-Morgenmagazin zu Angela Merkels Besuch in Niger äußert. Nooke ist der Afrikabeauftragte der Bundesregierung. Seit einigen Tagen werden Stimmen laut, die das ändern wollen.

Auslöser ist nicht seine Aussage über autoritäre Regime im ZDF. Auslöser ist auch nicht das in der Zeit erschienene Gespräch, in dem er findet, EU-Staaten hätten "den afrikanischen Regierungen genug Vorträge über moderne Demokratie, Rechtsstaat, Verwaltungsrecht und so weiter gehalten". Auslöser vehementer Kritik von Bundestagsabgeordneten und Aktivisten ist ein Interview, das Nooke vor wenigen Tagen der B.Z. gegeben hat. Die beiden Hauptvorwürfe: Geschichtsrevisionismus und Rassismus.

"Experten, auch Afrikaner, sagen: Der Kalte Krieg hat Afrika mehr geschadet als die Kolonialzeit", verkündete der ehemalige DDR-Bürgerrechtler in dem Interview. Immerhin habe "die Kolonialzeit dazu beigetragen, den Kontinent aus archaischen Strukturen zu lösen".

"Seine Aussagen zur Kolonialzeit sind überheblich und gefährlich", kommentiert die Sozialdemokratin Ute Vogt. Die Linke Helin Evrim Sommer ist "fassungslos". Der FDPler Olaf in der Beek spöttelt: "Wenn es Herrn Nookes Ziel war, endlich einmal etwas Aufmerksamkeit zu erhalten, dann darf man wohl gratulieren." Die drei Abgeordneten sitzen im Entwicklungsausschuss des Bundestags. Auch der Zentralrat der afrikanischen Gemeinden in Deutschland und die Initiative Schwarze Menschen in Deutschland reagieren dem Tagesspiegel zufolge mit Empörung.

Nooke selbst fühlt sich missverstanden. "Es liegt mir fern, in irgendeiner Weise die Verbrechen der Kolonialzeit zu relativieren", sagt er spürbar verärgert der SZ. "Nach der Kolonialzeit hatte auch der Kalte Krieg negative Auswirkungen auf die Entwicklung in vielen afrikanischen Ländern." Der Vergleich komme nicht von ihm, er habe sich auf den britisch-sudanesischen Unternehmer Mo Ibrahim bezogen, ohne ihn sich zu eigen zu machen. Er habe zum Beispiel in Afrika erlebt, dass ihm eine von Deutschen gebaute Eisenbahnbrücke aus der Kolonialzeit stolz gezeigt wurde. Aber das, betont Nooke, sei wirklich das einzig Positive, was von der Zeit geblieben sei. "Personalisierung und Totschlagargumente wie 'Rassismus' erlauben keine sachliche Debatte und sollten nicht wiederholt werden, weil sie nicht stimmen."

Für weitere Empörung sorgte Nookes Aussage, dass Europas Lösungen deshalb nicht die Afrikas sein könnten, weil "die Gesellschaften dort" anders funktionierten. "Das hat mit Clan-Strukturen zu tun, der Rolle von Stammesführern, der Vielzahl an Ethnien und tradierten Verhaltensweisen", sagte Nooke im B.Z.-Interview. "In Niger bekommen die Frauen im Schnitt 7,3 Kinder, die Männer hätten gern elf!"

"Ich will eine faktenbasierte Debatte aus der Mitte heraus"

Dass diese Zitate als Rassismus gewertet werden sollen, kann Nooke nicht nachvollziehen. "Bei meinen Reisen durch Afrika sehe ich doch Unterschiede vor Ort", kommentiert er. "Das heißt doch nicht, dass eine Gesellschaft besser oder wertvoller sein soll als die andere." In Deutschland wollten die Menschen kleinere Familien und könnten deshalb Nigers Kinderreichtum nicht nachvollziehen. "Aber da steckt viel traditionelles Denken dahinter. Das muss man wissen, um das Bevölkerungswachstum oder auch den politischen Umgang mit Verhütungsmitteln dort zu verstehen." Dass Frauen in Niger durchschnittlich neun Kinder wollten und Männer elf, habe er auf Regierungstreffen in Afrika erfahren.

"Ich will eine faktenbasierte Debatte aus der Mitte heraus", klagt er. "Mir geht es nicht darum, Verbrechen der Vergangenheit zu relativieren oder rassistische Klischees zu bedienen. Das sollte man mir, auch wenn man auf meine Biografie schaut, nicht vorwerfen."

Nooke ist in der Lausitz zur Welt gekommen, als Otto Grotewohl Ministerpräsident der DDR war und Walter Ulbricht Erster Sekretär der SED. Er war als Bürgerrechtler aktiv und hat den Demokratischen Aufbruch mitgegründet. Nach der Wende war er kurz bei Bündnis 90, seit 1996 ist Nooke CDU-Mitglied. Er war Abgeordneter der Volkskammer, des Brandenburger Landtags und des Bundestags. Zu Beginn von Merkels Zeit als Fraktionschefin war er ihr Stellvertreter. 2006 wurde er Beauftragter für Menschenrechtspolitik und humanitäre Hilfe der Bundesregierung. 2010 kürte die Kanzlerin den Physiker und Arbeitsmediziner zu ihrem persönlichen Afrikabeauftragten.

"Ich bin überzeugt, dass in Afrika die Hongkongs des 21. Jahrhunderts entstehen"

Nooke hat das Interview mit der B.Z. vor der Veröffentlichung abgesegnet. Verkürzung und Vereinfachung seien normal für eine Boulevardzeitung, sagt er, aber inhaltlich stimme das schon alles. Dabei sind im Interview auch sehr pauschale Aussagen enthalten, etwa diese: "Die wenigsten Migranten aus Afrika sind Flüchtlinge. Die meisten suchen ein besseres Leben."

Dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zufolge liegt die Gesamtschutzquote für Asylsuchende aus Afrika allerdings bei etwa 38 Prozent. Das heißt: Mehr als ein Drittel aller inhaltlichen Entscheidungen über Asylanträge endeten im Bleiberecht, das von der Duldung bis zum Asyl reichen kann. Als Flüchtlinge gemäß der Genfer Konvention anerkannt werden etwa 17 Prozent der afrikanischen Asylsuchenden. Sind das "die wenigsten"? Im Nachhinein erklärt Nooke, damit habe er Länder wie Ghana oder Senegal gemeint, in denen junge Menschen aus wirtschaftlichen Gründen perspektivlos seien.

Doch es ist schwierig, alle 54 Länder Afrikas über einen Kamm zu scheren, gerade wenn es um die Flucht von dort nach Europa geht. Das zeigt sich schon an den drei Hauptherkunftsländern afrikanischer Asylsuchender: Die Schutzquote für Eritreer liegt von Januar bis September 2018 bei mehr als 94 Prozent, die für Somalier bei mehr als 66 Prozent, aber die für Nigerianer nur bei knapp 20 Prozent. In Eritrea und Somalia seien die Zustände schlimm, gibt Nooke zu, die habe er bei der Aussage über "Migranten aus Afrika" nicht gemeint.

"Es geht darum, Lebensperspektiven zu schaffen"

Für die Fachkräfte unter den Geflüchteten hat Nooke eine Lösung parat, die er seit Jahren immer offensiver vertritt. Er schlägt vor, dass auf dem Kontinent Städte gebaut werden, die ähnlich funktionieren sollen wie Sonderwirtschaftszonen. Dass es in Afrika solche Gebiete geben sollte, in denen besonders leicht investiert werden kann, ist ein beliebtes Gedankenspiel mancher Ökonomen.

Die Sozialdemokratin Vogt betont, dass Nooke "durchaus viel Richtiges sage". Wie viele Entwicklungspolitiker bemängelt er oft, dass afrikanische Länder Rohstoffe statt fertiger Produkte exportieren, was an Zöllen und fehlenden Investoren liege.

Doch die Version wirtschaftlicher Wachstumszonen, die der 59-Jährige vorschlägt, klingt in seiner Formulierung etwas schrulliger als bekannte Konzepte. Seiner Vorstellung nach sollen aus dem Mittelmeer gerettete Flüchtlinge nach Afrika zurückbefördert werden "an Orte, wo sie beschützt sind, Ausbildung und Arbeit finden".

"Es geht darum, Lebensperspektiven zu schaffen", verteidigt Nooke den Vorschlag. "Wer im Begriff ist zu flüchten oder schon geflüchtet ist, soll vor die freiwillige Entscheidung gestellt werden, ob er im Lager vom UNHCR versorgt und verwaltet werden oder in einem rechtssicheren Raum arbeiten und sich entfalten will." Dass die geretteten Menschen vielleicht weder das eine noch das andere wollen, dass ein Ghanaer vielleicht nicht nach Tansania möchte, ob und wann die Flüchtlinge die Zonen wieder verlassen dürfen: Solche Details lässt Nooke unbeantwortet, gibt sich aber zuversichtlich, dass diese "interessanten Fragen" gelöst werden können. "Ich bin überzeugt, dass in Afrika die Hongkongs des 21. Jahrhunderts entstehen."

Der FDP-Abgeordnete in der Beek sieht in Nookes Ideen "einen gewissen kolonialen Charme aufblitzen", die entwicklungspolitische Sprecherin der Linken Sommer fühlt sich an "das Denkmuster 'Wir bringen den Afrikanern Zivilisation bei'" erinnert. Die beiden sind sich einig, dass Nooke seinen Hut nehmen sollte.

Die Bundesregierung will zu Nookes Zukunft derzeit nichts sagen. Auch zur sonstigen Debatte gibt sie sich eher schmallippig. "Die Auffassung der Bundesregierung ist klar: Der Kolonialismus hatte eine historisch anerkannte, massiv schädigende Wirkung auf die Entwicklung in Afrika", sagt ein Regierungssprecher der SZ. "Das sollte man nicht relativieren."

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