Kämpfe in Ostkongo:Afrikas dreißigjähriger Krieg spitzt sich nochmals zu

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Auf der Flucht: Ein Vater und seine Kinder, heimatlos geworden durch die Kämpfe in Goma. (Foto: Moses Sawasawa/AP)

Die Rebellengruppe M23 erobert in Ostkongo die Millionenstadt Goma – mutmaßlich unterstützt vom Nachbarland Ruanda. Die Regierung spricht von einer „Kriegserklärung“.

Von Paul Munzinger, Kapstadt

Die Einnahme vermeldeten die Rebellen mitten in der Nacht. Goma sei „befreit“ worden, schrieb der Sprecher der Gruppe M23 um 1.46 Uhr auf der Plattform X. Die Lage sei unter Kontrolle. Die Bewohner der Millionenstadt im äußersten Osten der Demokratischen Republik rief er auf, sich ruhig zu verhalten. Es sei ein „glorreicher Tag“.

Die Eroberung Gomas ist der größte militärische Erfolg für M23 seit mehr als zehn Jahren und eine dramatische Zuspitzung des seit 30 Jahren schwelenden Konflikts im Herzen Afrikas. UN-Generalsekretär António Guterres hatte schon vor Tagen vor einem neuen regionalen Krieg an der Grenze zwischen Kongo und Ruanda gewarnt und die Rebellen aufgefordert, ihre Offensive einzustellen. Vergeblich. Auch von einer Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrats am Sonntag ließen sie sich nicht beeindrucken.

Mehr als 100 bewaffnete Gruppen kämpfen im Osten des Kongo um die Vorherrschaft und die Kontrolle über die großen Rohstoffvorkommen. Doch keine von ihnen hat in den vergangenen Jahren größere Geländegewinne erzielt und dabei mehr Zivilisten zur Flucht gezwungen als M23.

Der Dauerkonflikt hat seinen Ursprung in Ruanda

Die Stärke der Gruppe beruht nach Überzeugung internationaler Beobachter darauf, dass sie Unterstützung aus Ruanda erhält. Goma liegt direkt an der Grenze der ungleichen Nachbarn: Die Demokratische Republik Kongo ist ein fragiler Riese mit mehr als 100 Millionen Einwohnern und einer schwachen Zentralregierung in Kinshasa, mehr als 2000 Kilometer von Goma entfernt. Ruanda dagegen ist ein straff geführter, aufstrebender Kleinstaat, der nur etwas mehr als ein Zehntel der Einwohner und etwas mehr als ein Hundertstel der Fläche des Kongo hat.

In Ruanda hat der Dauerkonflikt im Osten des Kongo – auch als Afrikas Weltkrieg oder Afrikas dreißigjähriger Krieg bezeichnet – seinen Ursprung. Dort hatten 1994 Angehörige der Volksgruppe der Hutu mindestens 800 000 Menschen ermordet, vor allem Angehörige der Tutsi-Minderheit. Beendet wurde der Völkermord von Paul Kagame, der den Bürgerkrieg gewann und Ruanda bis heute regiert. Doch viele der Täter entkamen, indem sie über die Grenze in den Kongo flüchteten.

Dort setzten sich die Kämpfe fort und zogen weitere Nachbarstaaten in den Konflikt hinein, der sich seit 1996 in drei Kriegen entlud. Internationale Friedensbemühungen inklusive mehrerer UN-Einsätze konnten die Situation stets nur vorübergehend entspannen. Beim jüngsten Vormarsch der M23 starben nach UN-Angaben auch mehrere Mitglieder der aktuellen Mission Monusco.

Die Gruppe M23 besteht hauptsächlich aus Tutsi und kämpft in Ostkongo unter anderem gegen die FDLR, die aus einstigen Hutu-Milizen hervorgegangen ist. Ihre Abkürzung steht für Bewegung des 23. März und bezieht sich auf einen 2009 geschlossenen Friedensvertrag mit der kongolesischen Armee, den diese nicht eingehalten habe. 2012, unmittelbar nach ihrer Gründung, nahmen die Rebellen schon einmal Goma ein, mussten sich aber bald wieder aus der Stadt zurückziehen. Seit einigen Jahren sind sie nun zurück, offenbar stärker denn je.

Experten sind sicher, dass Ruanda die Rebellen militärisch unterstützt – auch mit Soldaten

Dass er den Kampf der M23 moralisch unterstütze, hat Ruandas Präsident Kagame, selbst Tutsi, nie bestritten. Dieselben Leute, die einst den Völkermord verübten, sagte er erst kürzlich wieder im ruandischen Fernsehen mit Blick auf die FDLR, „existieren immer noch, sind immer noch bewaffnet und praktizieren immer noch ihre Völkermord-Ideologie“. Und zwar, so Kagame, im Nachbarland Kongo, unterstützt von der dortigen Regierung.

Was Kagame stets bestritten hat: dass Ruanda M23 auch militärisch unterstützt. Zu diesem Ergebnis war im Juni der Bericht einer Expertengruppe gekommen, die die Lage in Ostkongo im Auftrag des UN-Sicherheitsrats untersuchte. Ruanda schickt den Rebellen demnach nicht nur Waffen und finanzielle Unterstützung, die ruandische Armee ist auch selbst an Kämpfen beteiligt und, zum Zeitpunkt des Berichts, mit Tausenden Soldaten im Land vertreten.

Kongos Außenministerin Thérèse Kayikwamba Wagner sagte am Sonntag im UN-Sicherheitsrat, dass zusätzliche Truppen aus Ruanda in den vergangenen Tagen über die Grenze gebracht worden seien. Sie sprach von einer „frontalen Aggression“ und einer „Kriegserklärung, die sich nicht länger hinter diplomatischen Manövern versteckt“. Der kongolesische Präsident Félix Tshisekedi hatte Kagame schon vor zwei Jahren vorgeworfen, eine expansionistische Politik wie einst Adolf Hitler zu verfolgen.

Für die Zivilbevölkerung in und um Goma ist die Einnahme der Stadt durch die Rebellen die nächste in einer langen Reihe von Katastrophen. Innerhalb der vergangenen drei Wochen sind nach UN-Angaben 400 000 Menschen vertrieben worden. Das Welternährungsprogramm teilte am Montag mit, dass es seine Operationen in der Gegend vorübergehend einstellt.

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