Süddeutsche Zeitung

Europäische Soldaten in Afrika:Im Schatten der Milizen

Die neue europäische Kampftruppe für die Sahelzone ist einsatzbereit. Während Frankreichs Präsident Erfolge gegen Dschihadisten verkündet, sehen Experten die Zusammenarbeit mit lokalen Armeen kritisch.

Von Anna Reuß

Das Takuba ist ein Schwert, das traditionell die Tuareg in der Sahel-Region als Waffe trugen. Takuba heißt auch eine neue Task-Force, mit der von diesem Mittwoch an 100 französische und estnische Soldaten Seite an Seite mit malischen in gemeinsamen Einheiten gegen islamistische Terroristen kämpfen sollen. Im Oktober soll ein zweites Kontingent mit 60 tschechischen Soldaten aufgestellt werden, im Januar nochmals 150 Schweden zu den europäisch-malischen Verbänden dazustoßen, wie Frankreichs Verteidigungsministerin Florence Parly im Interview mit La Croix angekündigt hat.

Präsident Emmanuel Macron hatte sich Ende Juni mit seinen Kollegen aus den G5-Sahel-Staaten Mali, Niger, Tschad, Mauretanien und Burkina Faso in Nouakchott zum Gipfel getroffen. "In der Sahelzone ist ein Sieg möglich", sagte er in der mauretanischen Hauptstadt. Die neue Taskforce soll dazu beitragen. Doch in den Ländern der Sahelregion sehen das viele anders. Kaum ein Konfliktherd der Welt zeigt eine derart rapide Verschlechterung der Lage über Grenzen hinweg - obwohl ausländisches Militär vor Ort ist. Vergangenes Jahr starben dort zehnmal so viele Menschen wie im Jahr 2014. Viele Experten vergleichen den langwierigen blutigen Konflikt bereits mit der Lage in Afghanistan.

Als 2011 das Regime in Libyen kollabierte, blieb Mali nicht unberührt. 2012 eroberte eine Koalition aus Rebellen, radikalen Islamisten und Tuareg-Separatisten den Norden des Landes. Daraufhin griff Frankreich mit Kampfjets ein, um die Rebellenoffensive in der ehemaligen Kolonie zu stoppen. Seither kämpft Mali um Stabilität. Auch die Bundeswehr unterstützt es dabei im Zuge der European Training Mission (EUTM) und der UN-Mission Minusma. In den vergangenen Monaten griffen Dschihadisten besonders häufig Menschen auf Märkten, in Restaurants oder Kirchen an.

Zugleich wird Mali durch eine schwere politische Krise erschüttert. Die umstrittene Parlamentswahl im März wurde durch Vorwürfe des Stimmenkaufs und der Einschüchterung sowie der Entführung des Oppositionsführers Soumaïla Cissé getrübt. Im Juni versammelten sich Zehntausende in der Hauptstadt Bamako und forderten den Rücktritt von Präsident Ibrahim Boubacar Keïta. Am Wochenende kam es zu neuen Protesten und Ausschreitungen; mindestens vier Menschen wurden nach Regierungsangaben getötet - durch Schüsse der Polizei, wie Oppositionsvertreter sagen, die von zwölf Toten sprechen. Keïta löste das Verfassungsgericht auf, das die umstrittene Wahl bestätigt hatte, und erklärte sich bereit, die Abstimmung in einigen Gebieten zu wiederholen. Ein Entgegenkommen sei nötig, um weitere Unruhen zu vermeiden, sagte er - seine Gegner wiesen das als unzureichend zurück.

Der Protest richtet sich auch gegen die Sicherheitskräfte, die Frieden und Stabilität bringen sollten: Malische Soldaten sollen im Juni zwei Dörfer überfallen und insgesamt 43 Menschen getötet haben, unter ihnen Frauen und Kinder. Die Regierung erklärte, die Vorfälle untersuchen zu wollen. Menschenrechtsgruppen kritisieren Regierung und Militär hingegen, "willkürlich" gegen jeden vorzugehen, der im Verdacht steht, mit Islamisten zu sympathisieren. In Burkina Faso sollen Soldaten Ende Juni sieben Zivilisten getötet und gefoltert haben. Es häufen sich Berichte über Übergriffe: Allein seit Januar haben Soldaten laut dem Armed Conflict Location & Event Data Project 270 Zivilisten in Mali, 123 in Niger und 213 in Burkina Faso getötet.

Die Ausbildung ist ausgesetzt

Solche Vorfälle bringen auch die ausländischen Truppen in Verruf und gefährden die Mission. Jetzt lähmt auch noch die Corona-Epidemie die schwachen Regierungen der Sahelstaaten - und beeinträchtigt die Arbeit der in Mali stationierten Bundeswehrsoldaten. Oberstleutnant i.G. Florian Schleiffer führt das Kontingent in Koulikoro seit Ende April. Wegen der Pandemie wurde es auf ein "operatives Minimum" reduziert. Es sind nur noch so viele Frauen und Männer vor Ort, etwa 50, die notwendig sind, um den Grundbetrieb aufrechtzuerhalten. Die Ausbildung ist ausgesetzt. Wie lange, weiß Schleiffer nicht.

Seit Beginn der Mission vor sieben Jahren haben 15 000 Malier Lehrgänge absolviert. "Das Ziel ist, dass die Malier irgendwann ohne Unterstützung für Sicherheit sorgen." Die Ausbildungsmission sei wichtiger denn je. "Für mich als Soldat ist das ein Zeichen dafür, dass wir auf dem richtigen Weg sind, wir weiter ausbilden und unser Vorgehen anpassen müssen. Gerade weil sich die Lage noch nicht stabilisiert hat und Mali noch immer mit dem Sicherheitsproblem im Norden ringt."

Noch dramatischer spitzt sich die Lage im Nachbarland Burkina Faso zu. Dabei galt es noch bis vor wenigen Jahren als sicher. Heute aber haben bewaffnete Gruppen den Staat ins Visier genommen: Sie greifen Schulen an und terrorisieren die Zivilbevölkerung. Mittlerweile zählt Burkina Faso fast eine Million Binnenvertriebene.

"Es gibt keinen vernetzten Ansatz im Sahel", kritisiert Helmut Asche, emeritierter Hochschullehrer. Er lehrte Entwicklungsökonomie und Afrikakunde in Leipzig und Mainz und hat gemeinsam mit Kollegen der Vereinigung für Afrikawissenschaften in Deutschland (VAD) eine Initiative ins Leben gerufen, die die Bundesregierung auffordert, die "Existenzkrise der Sahelländer und ihre geopolitischen Konsequenzen" anzuerkennen. Die "militärische Einsatzdoktrin", einerseits schlecht ausgestattete und zum Teil korrupte Armeen zu ertüchtigen, und andererseits nach afghanischem Vorbild "Herzen und Hirne" gewinnen zu wollen, habe sich mitunter als "konfliktverschärfend" erwiesen.

Burkina Faso ist aus Sicht der Wissenschaftler ein "Schlüsselland", das eine "umfassende Stabilisierungsmission" brauche, um den Staatszerfall zu verhindern. Bislang sei es der "Sperrriegel", der verhindert habe, dass der islamistische Terrorismus in die Nachbarländer vordringe. Ein Anschlag auf einen Kontrollposten in der Elfenbeinküste zeigt allerdings, dass die taumelnden Sahel-Staaten nicht mehr als Bollwerk taugen. Islamistische Kämpfer hatten im Juni zehn Soldaten getötet. Es war der erste Anschlag seit 2016.

Bakary Sambe leitet in Senegals Hauptstadt Dakar den Thinktank Timbuktu Institute. Er warnt seit Jahren vor der Bedrohung für die Nachbarstaaten: "Die westafrikanischen Staaten unterschätzen die terroristische Bedrohung." Besonders für die Küstenstaaten am Golf von Guinea ist die Stabilität der Sahelstaaten zentral.

Beim Gipfel in Nouakchott waren die Teilnehmer voll des Lobes füreinander. Macron sagte: "Es ist uns gelungen, das Kräfteverhältnis umzudrehen." Er sprach von "wahren Erfolgen" in den vergangenen sechs Monaten. Von diesem Fortschritt ist allerdings wenig zu sehen. Zwar gelang es dem französischen Militär, einige Hundert Dschihadisten zu töten, unter ihnen auch den regionalen Al-Qaida-Anführer Abdelmalek Droukdal, doch damit allein lässt sich der Konflikt nicht lösen.

Die Lage im Sahel verschlechtere sich, "obwohl die internationale Gemeinschaft ihren Fußabdruck vertieft hat", moniert die von der Bundesregierung finanzierte Stiftung Wissenschaft und Politik. Die Strategie sei zu wenig auf Ertüchtigung der lokalen Regierungen und deren Eigenverantwortung ausgelegt. Die deutsche Präsenz drehe sich im Kreis. Die Westafrika-Direktorin von Human Rights Watch, Corinne Dufka, schrieb in Le Monde: "Die Länder, die diese Bemühungen finanzieren, sind gut beraten, sich zu fragen, warum das so ist." Sie argumentiert, dass sich viele nur deshalb islamistischen Gruppen anschließen würden, um sich am Militär und regierungsnahen Milizen zu rächen. "Mit anderen Worten, die vom Militär begangenen Gräueltaten fördern die Rekrutierung." Und stärken die bewaffnete Gruppen.

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SZ vom 14.07.2020/jael
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