Afrika:Ghana - Wachstum frisst Fortschritt

The Wider Image: Ghana's Millennial Avant-Garde

"Das 21. Jahrhundert wird auch durch das bestimmt, was in Accra passiert", sagte Barack Obama 2011. Die Ghanaer fühlten sich angekommen.

(Foto: Francis Kokoroko)
  • Am 6. März feiert Ghana 60 Jahre Unabhängigkeit.
  • Die Wirtschaft des Landes wuchs lange Zeit rasant, doch nun gerät die Konjunktur ins Stocken.
  • Dennoch bleibt die Jugend des Landes hoffnungsvoll, die Machtübergabe nach der jüngsten Wahl verlief friedlich.

Von Bernd Dörries, Accra

Der Platz der Unabhängigkeit in Accra ist einer der schönsten Orte der Stadt, über die freie Fläche weht ein kühler Wind, auf den Tribünen haben sich Liebespaare in den Schatten gesetzt. Oben auf dem Turm, der manche mit seinen geschwungenen Bögen an ein riesiges "M" einer Fastfood-Kette erinnert, hat sich das 30-köpfige Planungskomitee in klimatisierte Räume zurück gezogen. Dort arbeitet es die Feierlichkeiten zu 60 Jahren Unabhängigkeit aus, die am 6. März auf dem Platz abgehalten werden sollen. Immer mal wieder kommt einer aus dem Komitee auf die Terrasse, um eine Zigarette zu rauchen oder zu telefonieren. Ihre Gesichter sehen nicht unbedingt feierlich aus, eher sorgenvoll.

Das mag zum einem daran liegen, dass der neue Präsident Nana Akufo-Addo angemahnt hat, doch bitte auf die Kosten zu achten, nachdem die Feier zum Fünfzigsten finanziell ziemlich aus dem Ruder gelaufen war. Es liegt aber auch daran, dass vielen in Ghana insgesamt nur bedingt zum Feiern zumute ist. Ghana gilt seit Langem als Musterland in Afrika. Es hat als erstes seine Unabhängigkeit gefeiert, es hat als erstes zu einer langen Stabilität gefunden und war 2011 Erster beim weltweiten Wirtschaftswachstum. Mittlerweile schwächelt die Wirtschaft ein wenig und die Ghanaer fragen sich: War es das schon?

Hier oben vom Turm hat man einen ganz guten Blick auf die Hauptstadt Accra. Auf das, was sich positiv verändert hat in den vergangenen Jahren - aber auch auf das, was noch möglich ist. Man schaut auf neue Hochhäuser und das sehr schicke Nationaltheater. Man sieht unzählige Bankfilialen und eine endlose Kolonne neuer Geländewagen, die sich im Verkehr stauen. Man sieht eine neue Mittelschicht aus den Einkaufszentren kommen.

Dreht man sich aber um, sieht man das Meer und die Küste, die ein wunderschöner Stadtstrand sein könnte und ein Magnet für Touristen. In Wirklichkeit ist sie aber letztlich nur eine Müllkippe, direkt hinter dem Monument türmt sich der Dreck. Ein paar Kilometer weiter sieht man den Lavender Hill, der seinem Namen nicht unbedingt gerecht wird, die teils offene Kanalisation der Stadt fließt hier direkt ins Meer. Immer mal wieder gab es Versuche, eine Kläranlage zu installieren, immer wieder ging es schief. So wie in Accra ist es im ganzen Land, die sanitäre Lage hat sich nicht verbessert, was auch im Wahlkampf Ende 2016 ein großes Thema war. Der neue Präsident Akufo-Addo hat ein neues Ministerium für Wasser und Sauberkeit geschaffen, vor wenigen Tagen startete ein neuer Versuch, Accras Abwässer zu säubern.

In der Hauptstadt ist es genau umgekehrt wie in den meisten anderen Metropolen am Wasser: Die Stadt hat sich vom Meer abgewandt, wer es sich leisten kann, wohnt in der Nähe des Flughafens. Dort sieht man schicke neue Bars und nagelneue Hochhäuser, die nicht mehr nur eine Modernität des Westens imitieren, sondern einen ganz eigenen Stil gefunden haben. Die riesigen Shoppingmalls und teuren Restaurants sind in den vergangenen zehn Jahren entstanden, in denen Ghana ein wahnsinniges Wachstumstempo vorlegte, mit dem Höchstwert von fast 14 Prozent im Jahr 2011. Barack Obama besuchte das Land bei seiner ersten Afrikareise und sagte: "Das 21. Jahrhundert wird nicht nur dadurch bestimmt, was in Rom, Moskau oder Washington passiert, sondern auch durch das, was in Accra passiert." Es war ein Satz, der sehr viele stolz machte in Ghana. Man war jetzt angekommen.

Zwei Prozent des Preises einer Schokoladentafel landen in Ghana

Mittlerweile ist die Stimmung verhaltener, das Wachstum lag zuletzt bei etwa vier Prozent. Was nicht ganz schlecht ist, aber eben nicht genug neue Jobs schafft. Die Zahl der Geburten übersteigt die der neuen Arbeitsplätze. Das Bevölkerungswachstum frisst den Fortschritt. "Wir haben zu wenig verarbeitendes Gewerbe und Industrie. Selbst die Säcke für den Export unseres Kakaos müssen wir importieren", sagt Kwaki Baprui Asante. Er ist so etwas wie das Gewissen der Nation, "public lecturer" nennt er sich unter anderem, was im Englischen eine schöne Doppelbedeutung hat: Er ist jemand, der in der Öffentlichkeit lehrt, der die Öffentlichkeit auch belehrt mit seinen viel gelesenen Kolumnen.

Asante, 92, hat das Lachen eines kleinen Jungen, er sitzt unter dem Mangobaum seines kleinen Hauses, das er nun fast genau so lange bewohnt, wie Ghana eigenständig ist. Er war damals einer der engsten Mitarbeiter des legendären Präsidenten Kwame Nkrumah, der Ghana 1957 in die Unabhängigkeit führte. Eine goldene Zeit. Nkrumah ließ damals eine Fabrik bauen für die Kakaosäcke, sie lief nicht lange, heute kommen sie wieder aus China. Kakao wird als reiner Rohstoff exportiert, die Wertschöpfung passiert anderswo, nur etwa zwei Prozent des Preises einer Schokoladentafel landen schließlich in Ghana.

Zumindest aber wird noch viel exportiert. Die Hähnchenzucht, eine der großen Stützen der Landwirtschaft, ist mittlerweile fast völlig zusammengebrochen. Weil die EU subventioniertes Fleisch nach Afrika verschifft, das bis zu einem Jahr im Container verbringt - und weil der Widerstand gegen solch aggressiven Handel in Ländern wie Ghana eher gering ist. Asante hat vor vier Jahren in einer seiner Kolumnen eine Steuer auf importierte Hähnchen vorgeschlagen. Die sei auch verabschiedet worden, sagt er, werde aber nicht immer auch umgesetzt. "Einige Mitglieder in der Regierung sind selbst Importeure von Hähnchen, verdienen gut damit", sagt Asante.

"Eat what you grow, grow what you eat", das sei in den Sechzigerjahren die Politik von Nkrumah und ihm gewesen. Und das sei auch heute der richtige Ansatz, auch der neue Präsident Nana Akufo-Addo vertrat ihn im Wahlkampf. Trotz seiner 72 Jahre ist er die Hoffnung der Jugend in einem jungen Land. Akufo-Addo war lange Menschenrechtsanwalt und hat es nun im dritten Anlauf ins Amt geschafft. Er wirkt nicht mehr allzu spritzig, aber das ist in Ghana in diesen Tagen egal. Die Begeisterung ist groß über die mal wieder geräuschlose Machtübergabe nach den Wahlen. Und auch wenn die Wirtschaft nicht mehr ganz so läuft, ist Ghana in Sachen Optimismus weiter ein Anker großer Stabilität. Für ein großes Feuerwerk, so hört man, reicht das Budget des Festkomitees dann doch.

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