Süddeutsche Zeitung

Das Politische Buch:Wenn Afrika boomt

Sophia Bogner und Paul Hertzberg haben den Kontinent bereist und innovative Unternehmer getroffen. Sie wollen angehen gegen das Klischee: Afrika ist alte Tradition, Moderne in weiter Ferne. So ganz gelingt das nicht.

Von Judith Raupp

Vier Jahre lang haben Sophia Bogner und Paul Hertzberg Afrika bereist. Das Journalisten-Paar hat in zwölf Ländern Unternehmerinnen und Unternehmer besucht. Ihr Buch "Jenseits von Europa" soll in eben diesem Europa das Interesse für Afrika wecken. "Unser Nachbarkontinent, 54 Länder, 1,3 Milliarden Einwohner, bleibt eine Nische, ein Thema für Experten", stellt das Autorenduo fest.

Tendenziell liegen Bogner und Hertzberg mit dieser Bemerkung richtig. Afrikanische Länder machen in Europa im Vergleich zu anderen Regionen seltener Schlagzeilen. Meistens dann, wenn wieder einmal Unruhen ausbrechen, Wahlen gezinkt wurden, Menschen verhungern oder wenn Frauen, gekleidet in bunte Tücher, die vermeintlich daraus folgende bunte Kultur Afrikas präsentieren. In den Köpfen vieler Europäer bleibt häufig eine simple Botschaft hängen: Afrika ist alte Tradition, Moderne in weiter Ferne.

Eine Vielfalt von Geschäftsideen

Es ist das Verdienst von Bogner und Hertzberg, mit diesem Vorurteil aufzuräumen. Sie zeigen die kreative Seite Afrikas, eine Vielfalt von Geschäftsideen, stellen innovative Unternehmerinnen und Unternehmer vor, die Internet und Apps besser beherrschen als so mancher Europäer, der vor der Generation Smartphone geboren wurde.

Da sind zum Beispiel Samrawit Fikru, die in Äthiopien eine App fürs Taxifahren programmiert und eingeführt hat, Josh Sandler und Jean-Claude Homawoo, die in Kenia und Nigeria eine Logistik-Plattform für den Warentransport betreiben, Clarisse Iribagiza, die in Ruanda E-Commerce salonfähig gemacht hat, oder Temie Giwa-Tubosun, die in Nigeria online Blutkonserven vermittelt und sie mit Motorrädern ausliefern lässt.

Ethik und Komplexität bleiben auf der Strecke

Es kommen aber auch Geschäftsleute aus der Mode- und Unterhaltungsbranche zu Wort, Solarunternehmer, Tankstellenbetreiber und vor allem Frauen, die sich in der männerdominierten Geschäftswelt einen Platz erkämpft haben, sei es mit einer Saftfabrik, einer Sicherheitsfirma, einer Produktion von Transportwagen für Bergwerke oder mit dem Betrieb von öffentlichen Toiletten.

Bogner und Hertzberg stellen zudem zwei Männer vor, die eher umstrittene Geschäfte betreiben. Peter Watson unterhält eine Krokodilfarm in Südafrika, um Leder herzustellen. Derek Littleton finanziert einen Nationalpark in Mosambik mangels Safari-Touristen vor allem mit der Großwildjagd. Das Autorenduo interessiert sich in erster Linie für die Menschen, die in Afrika etwas wagen, für ihre Motivation und für ihren Durchhaltewillen. Diese Perspektive erlaubt wenig Raum für eine vertiefte Diskussion über Ethik oder komplexe Zusammenhänge.

Die Autoren selbst schreiben über ihr Werk, es handele sich um eine Sammlung von Porträts. "Wir haben es uns einfacher gemacht - und hoffentlich auch Ihnen." Diese Herangehensweise ist Stärke und Schwäche zugleich. Sie eröffnet einen persönlichen Zugang, und schließlich spiegeln Schicksale einzelner Menschen gewisse Verhältnisse in der Gesellschaft wider. Aber sie betont auch die Sichtweise der porträtierten Personen, weil sich die Recherche stark auf Begegnungen mit diesen Menschen stützt.

Was bedeutet "sauber" in korrupten Systemen?

So feiern die Autoren den Erfolg einer Solarfirma, nur weil sie Investoren gefunden hat. Kann sie das Geld jemals zurückzahlen? Wird sie wirklich im nächsten Januar die Produktion aufnehmen? Wird der Strom für die arme Bevölkerung bezahlbar sein?

Die Chefin einer Sicherheitsfirma in Simbabwe beurteilen Bogner und Hertzberg als "sauber", ohne zu erklären, was sauber in einem korrupten System bedeutet. Wird die Unternehmerin, wie in anderen afrikanischen Ländern, genötigt, einen Geheimdienstler einzustellen, der die Abzocke für seine korrupten Kollegen in die Wege leitet? Kommen Steuerbeamte, die drohen, die Firma zu schließen, wenn sie nicht ein Vielfaches des Umsatzes (nicht des Gewinns) als Abgabe bezahlt? Es sei denn, die Chefin bereitet ihnen ein "kleines Geschenk".

Der Logistik-App-Betreiber darf unwidersprochen sagen, dass die meisten Menschen falsch lägen, wenn sie glaubten, dass Korruption und kaputte Straßen den Transport in Afrika teuer machten. Doch auch mit der besten App muss der Lastwagen warten, wenn eine Strecke in der Regenzeit nicht passierbar ist, weil eine Brücke weggerissen oder die Piste weggespült ist. Und auch die beste App rettet den Chauffeur nicht vor der Straßensperre, an denen Banditen Wegezoll einfordern.

Man wüsste auch gerne, ob alle porträtierten Unternehmer und Unternehmerinnen pünktlich Löhne bezahlen, von denen die Angestellten leben können. Sind sie krankenversichert? Oft genug ist das in afrikanischen Ländern nicht der Fall. Krankheit und nicht bezahlte Löhne stürzen ganze Familien ins Elend. Solchen Fragen hätte das Autorenduo nachgehen können. Vielleicht hätten die Journalisten dann an manchen Stellen auf Superlative und Übertreibungen verzichtet.

Am Schluss eine missglückte Recherche

Hinter das letzte Kapitel des Buchs kann man ein Fragezeichen setzen. Es sollte von einem Entertainment-Unternehmer aus der Demokratischen Republik Kongo, also Kongo-Kinshasa, erzählen. Allerdings spielt es im Nachbarland Republik Kongo, Kongo-Brazzaville. Denn Bogner und Hertzberg haben kein Visum für Kongo-Kinshasa bekommen. Sie wollen den Unternehmer in Brazzaville treffen. Zwischen den beiden Hauptstädten verkehren Fähren über den Kongofluss.

Der Unternehmer kommt allerdings nicht, alle Termine platzen. Abgesehen davon haben sich im Kongo-Kapitel kleine Ungenauigkeiten eingeschlichen. Zum Beispiel verorten die Autoren den Film "Gorillas im Nebel" im Kongo, obwohl er fast ausschließlich im Nachbarland Ruanda gedreht wurde. Statt eine missglückte Recherche breitzutreten, hätten die Autoren besser Raum für eine weitere kreative Idee gelassen. Zumal, wenn sie Europäer für den afrikanischen Kontinent begeistern wollen.

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