Süddeutsche Zeitung

Entwicklungshilfe in Afrika:Genauer hinschauen

  • Der Völkerrechtler Gerd Hankel kritisiert die Entwicklungshilfe des Westens auf dem afrikanischen Kontinent.
  • Korruption, Klientelismus und Inkompetenz in den Ländern südlich der Sahara haben nach seinem Urteil den Fortschritt vereitelt.

Rezension von Judith Raupp

Gerd Hankel hat eine klare Meinung über die internationale Entwicklungspolitik. Angesichts der vielen Milliarden Euro, die in afrikanische Länder geflossen sind, "ist das Erreichte dürftig bis beschämend", schreibt der Völkerrechtler in seinem jüngsten Werk "Das Dilemma".

Korruption, Klientelismus und Inkompetenz in den Ländern südlich der Sahara haben nach seinem Urteil den Fortschritt vereitelt. Die Geber wiederum hätten Projekte finanziert, die ihren eigenen politischen und wirtschaftlichen Interessen dienten, nicht aber der armen Bevölkerung.

So weit, so schlecht. Die Argumente sind allen bekannt, die sich für Entwicklungspolitik interessieren. Man müsste das Werk nicht lesen, beließe es Hankel nur bei Kritik. Doch anders als viele Autoren bemüht er sich um Denkanstöße, wie es besser laufen könnte in der sogenannten Zusammenarbeit zwischen Nord und Süd. Außerdem erklärt er, weshalb er selbst weiter Hilfe leistet, obwohl er betrogen wurde.

Der Jurist und Übersetzer beschreibt und vergleicht seine Erfahrungen aus Ruanda und dem benachbarten Osten der Demokratischen Republik Kongo. Er erforscht seit 2002, wie der Genozid in Ruanda juristisch aufgearbeitet wurde, bei dem 1994 beinahe eine Million Menschen getötet worden waren.

Im Ostkongo engagiert er sich seit 2004 für ein Hilfsprojekt nahe der Stadt Bukavu. Ein deutscher Verein finanziert dort Schulgebäude, eine Werkstatt für ehemalige Kindersoldaten, Essen für Kinder und landwirtschaftliche Kooperativen für Frauen.

Hankel beleuchtet, wie Ruanda das Vorzeigeland für westliche Helfer wurde, gewissermaßen als Wiedergutmachung, weil die Staatengemeinschaft den Völkermord hatte geschehen lassen.

Präsident Paul Kagame, der einst mit seiner Miliz aus dem ugandischen Exil einmarschierte, um den Genozid in Ruanda zu beenden, beeindruckt die Geber mit seiner Entwicklungsdiktatur und dem kompromisslosen Kurs Richtung Moderne.

Ruanda und die Republik Kongo - die Unterschiede sind groß

Hankel würdigt den wirtschaftlichen Erfolg, mahnt aber, dass die Lebensverhältnisse zwischen Stadt und Land immer weiter auseinanderklafften und die Erfolge in der Armutsbekämpfung sowie bei der Versöhnung der Ethnien überschätzt würden.

Vor allem aber bemängelt Hankel, dass die internationale Gebergemeinschaft Kritik nicht dulde, weil die Diskussion moralisch aufgeladen sei. Selbst Menschenrechtsverletzungen würden ignoriert, weil Ruanda als Erfolgsmodell verkauft werden soll.

Vom Kongo zeichnet der Autor ein düsteres Bild, was auch auf persönliche schlechte Erfahrungen zurückzuführen ist. In seinem Hilfsprojekt veruntreuten die lokalen Partner Geld und Material. Aufgrund von Korruption wurde der Fall nicht juristisch aufgearbeitet.

Zudem beschreibt Hankel, wie er ein ums andere Mal von Zöllnern, Geheimdienstlern oder Polizisten gedrängt wurde, Bestechungsgeld zu bezahlen. In dem Land seien Armut und Perspektivlosigkeit "überall unübersehbar und erfahrbar".

Nachdem der Betrug im eigenen Projekt aufgeflogen war, hat Hankel mit einem weitgehend neuen Team vor Ort weiter gemacht. Trotz allem, so argumentiert er, hätten einige Kinder und Frauen bessere Lebensbedingungen erhalten.

Aus diesem Grund lehnt Hankel es auch ab, nur humanitäre Nothilfe bei Kriegen und Katastrophen zu leisten, und die Entwicklungshilfe einzustellen, wie viele Kritiker der Hilfsindustrie fordern. Das hält Hankel für eine beschränkte Sichtweise von Menschen mit "regelmäßigen Gehaltszahlungen und allen Arten von Sozialversicherungen".

Außerdem gebiete es der Migrationsdruck, den Menschen im Süden ein Leben in Würde zu ermöglichen.

Schulen bauen, ist das Eine. Was dort gelehrt wird, das Andere

Hankel zeigt die unterschiedlichen Verhaltensweisen der Geber auf, darunter auch Deutschland, die sich in Ruanda und im Kongo engagieren. In Ruanda halten sie trotz Menschenrechtsverstößen an der Zusammenarbeit auf Staatsebene fest, abgesehen von einer Unterbrechung, als das Regime eine Rebellion im Ostkongo unterstützte.

Im Kongo wurde die staatliche Kooperation dagegen eingefroren, als Ex-Präsident Joseph Kabila die Wahl verschleppte und Protest niederprügeln ließ.

Hankel fordert, wie übrigens viele afrikanische Aktivisten, dass die Geber die Einhaltung der Menschenrechte zum Entscheidungskriterium für Hilfe auf Staatsebene machen sollten. Bei einem Regime, das notorisch dagegen verstoße, verbiete sich eine Zusammenarbeit mit der Regierung, es sei denn, es gehe um Nothilfe.

Zudem plädiert der Völkerrechtler für einen Mentalitätswandel in Nord und Süd, um zu einer wahren Kooperation zu gelangen. Es sei für beide Seiten höchste Zeit, ihr Leben solidarisch und umweltschonend zu gestalten. Zudem müssten die Afrikaner selbstbewusst Verantwortung übernehmen.

Hankels Werk bietet mit einer Mischung aus persönlichen Erfahrungen, Statistiken, Kapitalismuskritik sowie juristischen und philosophischen Konzepten Stoff zum Überdenken der Entwicklungspolitik. Im Kern liegt Hankel mit seiner Analyse der Lage richtig.

Allerdings krankt sein Buch bisweilen an einer polemisierenden und pauschalisierenden Darstellung. Auch so manche Ungenauigkeit hat sich eingeschlichen. Im Kapitel über Ruanda mit dem Titel "Zwischen Aids, Völkermord und naiven Hilfsvorstellungen" zum Beispiel steht nichts über Aids. Außerdem wüsste man gerne mehr darüber, inwiefern das Hilfsprojekt im Ostkongo zum Mentalitätswandel beiträgt, den Hankel fordert. Schulgebäude bauen ist das eine. Was gelehrt wird, das andere.

Im Kongo jedenfalls vermittelt so mancher Lehrer im Klassenraum, finanziert von westlichen Helfern, wenig mehr als Gehorsam und Kuschen.

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SZ vom 23.03.2020/odg
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