Süddeutsche Zeitung

Afrika-Buch "Heiliger Krieg, heiliger Profit":Auf der Spur des Geldes

Mit der Verschleppung von zig Schülerinnen haben die Islamisten von Boko Haram ihren terroristischen Marktwert gesteigert. Afrika-Kenner Marc Engelhardt zeigt auf, warum religiöse Beweggründe als Erklärung für viele Terrorgruppen zu kurz greifen. Meist handele es sich um organisierte Kriminalität.

Von Michael Bitala

Abubakar Shekau wurde schon zweimal offiziell für tot erklärt. Dafür ist der Mann noch ziemlich lebendig. Man kann ihn in einem 17-minütigen Film sehen, und mit ihm 130 von mehr als 200 Mädchen, die seine Terrortruppe Boko Haram im Norden Nigerias noch immer entführt hält. Shekau ist mit den Geiseln im Freien, von Bäumen umgeben, die Mädchen tragen Schleier, lesen aus dem Koran, und der Terrorchef, mit Militäruniform und Schnellfeuergewehr, verkündet, er habe die Schülerinnen "befreit": "Und wisst ihr, wie wir sie befreit haben? Diese Mädchen sind Muslime geworden."

Seit dieser Entführung ist Boko Haram der Welt bekannt. Das ist insofern beachtlich, weil die Terrortruppe zwar schon 1500 Menschen allein in diesem Jahr getötet haben soll, aber erst die Geiselnahme für internationale Aufregung sorgte - und zwar für eine so große, dass die USA Bodentruppen nach Afrika geschickt haben, um die verschleppten Mädchen zu suchen.

Vor dieser Entführung gab es viel prominentere Terrortruppen in Afrika, die al-Qaida im Maghreb zum Beispiel, die LRA von Joseph Kony oder auch die al-Shabaab in Somalia, die das Nachbarland Kenia mit Anschlägen überzieht. Der spektakulärste Überfall in jüngster Zeit fand im September 2013 statt, da stürmten somalische Terroristen das Westgate-Einkaufszentrum in Nairobi, 67 Menschen wurden getötet und mehr als 300 verletzt.

Nun, nach der Entführung der Mädchen, ist das erste Ziel von Boko Haram erreicht: Sie hat ihren Marktwert gesteigert, und zwar im Wortsinn. Je bekannter eine Terrortruppe ist, desto höher fällt das Lösegeld aus, und, wichtiger: desto höher steigt das Ansehen bei anderen Terrorgruppen.

Abubakar Shekaus Truppe spielt nun eine größere Rolle im globalen Geschäft mit der Angst. Dass Terror ein Geschäft ist, ist zwar keine neue Erkenntnis, aber zumindest für afrikanische Terrorgruppen hat das bislang niemand so fundiert und detailliert aufgeschrieben wie Marc Engelhardt in seinem Buch "Heiliger Krieg, heiliger Profit".

Einzelne profitieren vom Terror. Denn je größer das Chaos, desto mehr Geld gibt's vom Staat

Engelhardt beschreibt, wie Boko Haram im muslimisch geprägten Norden Nigerias entstanden ist, der sich vom überwiegend christlichen Süden seit Jahrzehnten gegängelt fühlt. Die Truppe besteht zwar ausschließlich aus Muslimen, aber religiöse Gründe sind nur der Deckmantel für ihre Taten. Boko Haram ließ und lässt sich für alles anheuern: Auftragsmorde, Anschläge, Chaos, und zwar immer von demjenigen, der am meisten bezahlt.

Nigeria ist ein immens reiches Land durch seine Ölvorkommen, die Bevölkerung aber gehört zu den ärmsten der Welt. So wundert es nicht, dass dieser Vielvölkerstaat seit Jahrzehnten zu zerbrechen droht und dass ein Drittel der Staatsausgaben allein für Militär und Sicherheitsapparat ausgegeben werden. Je mehr Chaos und Terror herrscht, desto mehr Geld gibt's vom Staat. Doch das Geld fließt zum allergrößten Teil nicht in die Ausrüstung und Ausbildung der Truppen, sondern in die Taschen der Provinzherrscher, Politiker, Militärs und Waffenkäufer. Aus deren Sicht wäre es also - zynischerweise - geschäftsschädigend, Boko Haram wirklich zu bekämpfen. Sie wird wohl viel öfter für ihre Terrortaten auch noch bezahlt.

Dasselbe Prinzip lässt sich auch auf Uganda anwenden, wo es der Armee seit Jahrzehnten nicht gelingen will, Joseph Kony und seine Kindermiliz zu besiegen. Auch hier profitieren vor allem hochrangige Militärs vom Geld, das in die Terrorbekämpfung gesteckt wird.

Die Religiosität ist aufgesetzt: Etliche islamistische Gruppen sind vor allem Verbrecherbanden

Truppen wie Boko Haram, die LRA, al-Qaida im Maghreb oder die al-Shabaab in Somalia haben immer dort den größten Erfolg und den größten Einfluss, wo der Staat praktisch aufgehört hat zu existieren. In diesen rechtsfreien Räumen können sie sich entfalten - und finden nicht selten jede Menge Anhänger, weil sie in diesen anarchischen Gegenden zumindest eine Art Ordnung herstellen, auch wenn sie auf Gewalt und Terror aufgebaut ist.

All den Gruppen ist auch gemein, dass sie mit dem Glauben hausieren gehen, ob mit einem militanten Islamismus wie Boko Haram oder al-Shabaab oder auch mit einem kruden Katholizismus wie die LRA, bei der sich Joseph Kony als Wiedergeburt der Dreifaltigkeit geriert. Die Religion aber dient lediglich dazu, die wirklichen Intentionen zu verbergen.

So kämpft zum Beispiel die somalische al-Shabaab seit Jahren offiziell dagegen, dass "ungläubige" kenianische Truppen ins Land einmarschiert seien, in Wahrheit aber geht es um etwas anderes. Die Kenianer haben unter anderem den somalischen Hafen Kismaayo besetzt - und der ist für das Geschäft der Terroristen existenziell. Von dort organisieren sie den Schmuggel von Holzkohle, Zucker und Elfenbein. Und wenn man die Schutzgelderpressungen der al-Shabaab noch hinzurechnet, dann kommt sie laut Engelhardt auf einen Jahresumsatz von 100 Millionen Dollar. Den möchte man sich mit Sicherheit nicht von kenianischen Truppen wegnehmen lassen. Darum der Anschlag auf das Westgate-Shoppingcenter, darum die vielen Bombenexplosionen in Nairobi und Mombasa in den vergangenen Wochen.

Marc Engelhardt folgt in seinem akribisch recherchierten Buch also der Spur des Geldes, und die ist - nicht nur, was Terror betrifft - fast immer aufschlussreicher, als religiösen oder ideologischen Spuren zu folgen. Al-Qaida ist zum Erfolgslabel geworden, das sich in der Sahara und in der Sahelzone immer mehr lokale und regionale Terrortruppen aufkleben - egal, ob sie mit dem Netzwerk etwas zu tun haben oder nicht. Das erklärt dann auch betrunkene Islamisten im malischen Timbuktu oder in der Stadt Gao, das erklärt auch, warum sogenannte Gotteskrieger sehr viel Geld mit Menschen- und Drogenschmuggel durch die Sahara verdienen.

Allein aufgrund dieser Erkenntnisse wäre das Buch schon sehr zu empfehlen. Denn wann immer es um Konflikte, Terror und Gewalt in Afrika geht, reduzieren sich Analysen sehr oft auf religiöse oder ethnische Gründe. Die aber spielen, wenn überhaupt, meist nur eine untergeordnete Rolle. Viel aufschlussreicher ist die Frage, wer von solchen Konflikten finanziell profitiert. Und das schlüsselt Engelhardt nicht nur sehr detailliert auf, er lässt auch seine reichen Kenntnisse dieser Länder einfließen.

Organisierte Kriminalität statt Glaubenskrieg

Der Journalist hat viele Jahre in Afrika gelebt und die meisten Länder bereist, über die er schreibt. Er kennt die Orte des Terrors, schildert sie anschaulich und lässt vor allem Menschen zu Wort kommen, die dort leben und unter der Gewalt leiden. Besonders interessant ist zum Beispiel eine Passage aus der Zentralafrikanischen Republik, in der sich Christen und Muslime derzeit gegenseitig abschlachten. Denn auch das ist im Kern kein religiöser Konflikt. Bewohner nennen die Milizen, einerlei welchem Glauben sie angehören, einfach "Wegelagerer". Zieht man den islamistischen Terrortruppen ihr religiöses Etikett ab, sind viele nichts anderes als zum Beispiel die ungezählten Milizen im Ostkongo: Verbrecherbanden.

Das wichtigste Fazit des Buches ist deshalb: Die USA können noch so viele Bodentruppen schicken, Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen kann noch so viele Bundeswehrsoldaten nach Afrika abkommandieren - das Terrorproblem wird damit nicht bekämpft. In den meisten Fällen handelt es sich um organisierte Kriminalität, die sich terroristischer Mittel bedient. Verbrechen aber bekämpft man nicht militärisch, sondern mit einem funktionierenden Sicherheitsapparat. Und der fehlt in den meisten Ländern Zentralafrikas.

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SZ vom 27.05.2014/sks
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