Süddeutsche Zeitung

Afghanistan:Trippelschritte Richtung Frieden

Auf einer von Deutschland und Katar veranstalteten Konferenz erklären Regierung und Taliban ihre Absicht, zivile Opfer künftig zu vermeiden.

Von Paul-Anton Krüger

Am Ende gab es Abschiedsgeschenke von den Taliban: Datteln und Parfüm für die Männer, für die Frauen dazu noch einen Schal und einen Gebetsteppich. Mit vorsichtigem Optimismus und einer gemeinsamen Abschlusserklärung endeten am Dienstag die ersten direkten Gespräche zwischen den militanten Islamisten und einer afghanischen Delegation aus Vertretern der Zivilgesellschaft und auch der Regierung. Organisiert hatten das zweitägige Treffen in Doha Deutschland und Katar. Allein die Tatsache, dass sich hochrangige Delegierte der Taliban unter Wahrung respektvoller Distanz auf Gespräche mit Frauen einließen und mit ihnen an einem Tisch aßen, zeige, dass sich in den vergangenen Jahren viel geändert habe, sagte ein Verhandlungsteilnehmer der Süddeutschen Zeitung. Unter der Herrschaft der Taliban von 1996 bis 2001 durften Frauen weder arbeiten noch zur Schule gehen.

Der innerafghanische Dialog, wie Diplomaten das Format nennen, soll in formelle Friedensverhandlungen zwischen den Taliban und der Regierung von Präsident Aschraf Ghani münden und den 18 Jahre währenden Krieg am Hindukusch beenden. Zugleich verhandeln die Taliban mit den USA über einen Rückzug aller westlicher Truppen im Austausch für Garantien, dass Afghanistan kein Ausgangsort mehr für Terrorismus ist. Unter der Herrschaft der Taliban hatte die Führungsriege des Terrornetzwerks al-Qaida dort Zuflucht gefunden, darunter auch Osama bin Laden.

Erst am Sonntag hatten die Taliban in der Stadt Ghazni eine Autobombe gezündet

Nach den Anschlägen des 11. September 2001 hatten die USA und andere westliche Staaten die Taliban in einer Militärintervention gestürzt, die bis heute andauert. Einen Deal mit den USA machen die Taliban zur Bedingung für direkte Verhandlungen mit der Regierung in Kabul. Deren Vertreter nahmen in Doha deswegen auch nicht in ihrer jeweiligen offiziellen Funktion teil, sondern als Bürger Afghanistans.

In der Abschlusserklärung betonen beide Seiten ihre Absicht, die zivilen Opfer des Krieges "auf null zu reduzieren" und die Sicherheit öffentlicher Einrichtungen wie "Schulen, Koranschulen, Krankenhäuser, und Märkte" zu garantieren. Zu einem Waffenstillstand fanden sich die Taliban jedoch nicht bereit. Erst am Sonntag, als sich die Teilnehmer in Doha einfanden, hatten die Taliban in der zentralafghanischen Stadt Ghazni eine Autobombe vor einem Gebäude des Inlandsgeheimdienstes NDS gezündet. Unter den 14 Toten waren mindestens vier Zivilisten, die 180 Verletzten überwiegend Schulkinder, wie die Behörden der Provinz mitteilten.

"Es ist sehr hart, jenen Männern gegenüberzusitzen, die einen Krieg gegen unschuldige Afghanen führen", sagte ein Mitglied der etwa 60-köpfigen Delegation aus Kabul. Viele der Teilnehmer in Doha haben in dem Konflikt Familienmitglieder verloren, sind in Gefangenschaft gehalten oder gefoltert worden. Die Taliban beklagten die Opfer von Angriffen der USA und der Regierungstruppen. "Der Schmerz ist auf allen Seiten, ob von nächtlichen Luftangriffen oder von Bombenattacken", sagte ein Taliban-Vertreter der New York Times. Nader Nadery, ein Berater von Präsident Ghani sagte, die Diskussionen in Doha hätten dazu beigetragen, besser zu verstehen, wer die Taliban sind und was sie wollen. Gleiches gelte umgekehrt.

Kontroverse Debatten gab es aber etwa auch um die Rechte der Frauen. Sie sollen gemäß der Abschlusserklärung in politischen, sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Angelegenheiten sowie in Fragen der Erziehung gewährleistet werden - allerdings "im Rahmen islamischer Grundsätze und islamischer Werte". Wie aber der Islam zu interpretieren ist und wer dazu ein Recht und eine Zuständigkeit hat, blieb in Doha höchst umstritten. Die Taliban beanspruchen die Autorität dafür in einem künftigen afghanischen Staat für sich.

Wie der Islam zu interpretieren ist, blieb in Doha höchst umstritten

Katar und Deutschland als Organisatoren zeigten sich zufrieden mit dem Verlauf der Gespräche. Bundeskanzlerin Angela Merkel dankte den USA und der afghanischen Regierung, politische Gespräche mit den Taliban in Gang gebracht zu haben. "Ich hoffe, dass das innerafghanische Treffen am Sonntag, das Deutschland und Katar auf den Weg gebracht haben, weitere Bewegung bringt", sagte sie. Diplomaten charakterisierten das zweiseitige Abschlussdokument als "Absichtserklärung", also unverbindlich. Allerdings sei vor Beginn der als "konstruktiv" geschilderten Gespräche, die ausschließlich zwischen den Afghanen ohne Beteiligung ausländischer Diplomaten geführt wurden, nicht klar gewesen, ob es für eine Erklärung reichen würde. Als Ausweis, welche Bedeutung die USA den Gesprächen beimessen, wurde die Anwesenheit des Sondergesandten Zalmay Khalilzad bei der Eröffnung und Schlusssitzung gewertet, der auch Gesprächen mit Teilnehmern führte.

Kahlilzad nahm am Dienstag seine Verhandlungen mit den Taliban in Doha wieder auf, inzwischen die siebte Runde. Sein Job ist nach Einschätzung europäischer Diplomaten, zu einer Einigung zu gelangen, die es Präsident Donald Trump erlaubt, noch vor der Wahl im November 2020 einen Teil der derzeit noch 14 000 in Afghanistan stationierten US-Soldaten abzuziehen. Kritiker fürchten, dass die USA, getrieben von diesem Zeitdruck, einen Deal mit den Taliban schließen, ohne dass der innerafghanische Dialog Schritt hält und die Taliban sich mit Kabul verständigen - und die Taliban dann letztlich wieder das Land übernehmen.

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SZ vom 10.07.2019
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