Afghanistan:Tote bei Protesten vor Bundeswehrlager

Vor einem afghanischen Bundeswehrcamp sind mindestens zwölf Menschen getötet worden, als Proteste gegen eine Nato-Aktion eskalierten.

T. Matern und D. Brössler

Bei einer Demonstration gegen die Nato-Truppen sind im nordafghanischen Talokan nach Behördenangaben zwölf Menschen gestorben und mehr als 80 verletzt worden. In der Stadt, die etwa 70 Kilometer von Kundus entfernt liegt, betreibt die Bundeswehr einen kleinen Stützpunkt, der während der Proteste mit Brandsätzen angegriffen wurde. Dabei seien drei deutsche Soldaten und vier Sicherheitskräfte verletzt worden, wie die Bundeswehr mitteilte. Der Zustand der Soldaten sei stabil. Die Bundesregierung gab die Zahl der Toten und Verletzten niedriger an: Ein Sprecher von Verteidigungsminister Thomas de Maizière sagte in Berlin, vermutlich seien vier Demonstranten gestorben und zehn weitere verletzt worden.

Afghans carry the bodies of people killed overnight after a raid by NATO and Afghan forces, during a protest in Taloqan

Demonstranten tragen die Leichen von vier bei einem Nato-Einsatz getöteten Menschen durch die Straßen von Talokan. Die Proteste eskalierten kurz darauf.

(Foto: REUTERS)

Auslöser der Unruhen war ein gemeinsamer Einsatz von Isaf- und afghanischen Soldaten in der Nacht zuvor gewesen. Dabei wurden nach Angaben des örtlichen Polizeichefs Schah Dschahan Nuri zwei Männer und zwei Frauen erschossen. Er verurteile den "brutalen Angriff", bei dem ausschließlich Zivilisten ums Leben gekommen seien, sagte er nach Angaben der Nachrichtenagentur Reuters. Die Isaf stellte den Vorfall hingegen anders dar: Demnach töteten die Soldaten bei der nächtlichen Aktion keine Zivilisten, sondern vier Aufständische, darunter zwei bewaffnete Frauen. Nach Nato-Darstellung soll es sich bei den Extremisten um Mitglieder der Islamischen Bewegung Usbekistans gehandelt haben. Isaf-Sprecher Josef Blotz sagte in Kabul, einer der Aufständischen sei ein "besonders gefährlicher, lange gesuchter Spezialist für Sprengstoffanschläge". Alle vier hätten die Soldaten mit Sprengstoffwesten und Waffen bedroht.

Warum die zunächst friedliche Demonstration in Talokan in Gewalt ausartete, war am Mittwochabend noch nicht abschließend geklärt. Isaf-Sprecher Blotz sagte, es habe sich um eine "gesteuerte Eskalation" gehandelt: "Die Menschen dort wurden klar instrumentalisiert." Aus dem Innenministerium in Kabul hieß es, mehr als 2000 Menschen seien auf die Straße gegangen. Die Demonstration sei nach und nach gewalttätig geworden. Den örtlichen Behörden zufolge starben die Demonstranten durch Schussverletzungen. Unklar blieb, wer das Feuer eröffnet hatte. Ein Polizeisprecher sagte, es hätten sich Menschen unter die Demonstranten gemischt, die "Unordnung" hätten stiften wollen. Nach Angaben der Bundeswehr versuchten afghanische Polizisten, die Demonstration vor dem Quartier der Bundeswehr mit Warnschüssen aufzulösen. Vor dem deutschen Lager hätten sich lediglich 100 Demonstranten aufgehalten.

Die BBC berichtete, die Lage sei gekippt, als die Demonstranten die Leichen der Getöteten auf einem zentralen Platz in Talokan aufbahrten. Einige Demonstranten hätten begonnen, Shops zu plündern, hieß es. Aufgebrachte Protestler seien mit Spaten und Äxten bewaffnet gewesen. Sie hätten Slogans gegen die USA und den afghanischen Präsidenten Hamid Karsai gerufen.

Erschütternd nannte Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) die Nachrichten aus Talokan. "Wir erwarten, dass die Verantwortlichen alles in ihrer Macht tun, um die Lage zu beruhigen, damit Demonstrationen nicht eskalieren", sagte er in Berlin.

Zu Meldungen, auch deutsche Soldaten hätten auf Demonstranten geschossen, sagte Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU): "Das kann ich nicht bestätigen." Er verwies darauf, dass die Informationen widersprüchlich seien. Die Bundeswehr teilte mit, dass der Zustand der verletzten Soldaten "stabil" sei. Die Sicherheitslage für die etwa 50 Angehörigen des Beratungsteams in Talokan habe sich zwar verschlechtert. Das Team sei aber notfalls in der Lage, sich zu verteidigen.

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