20 Jahre nach 9/11:"Ich will nur noch weg hier"

US-Armee in Afghanistan

Eine US-Soldatin kontrolliert eine Frau während der Evakuierungsaktionen am Kabuler Flughafen.

(Foto: US Marines/via REUTERS)

Der Westen kam nach Afghanistan, um Osama bin Laden zu holen. Er blieb, um Demokratie und Frauenrechte zu bringen. Und lässt nun Millionen verzweifelter und enttäuschter Menschen zurück.

Von Tobias Matern, München

Es war ein großes Versprechen, aber es ist in sich zusammengebrochen. Frieden sollten die westlichen Truppen nach Afghanistan bringen, Sicherheit, und mehr Rechte für Frauen. "Ich gehe nur noch manchmal nach draußen und bedecke wieder mein Gesicht", berichtet Fausia Abdullah in einer wochenlangen Konversation mit Kurznachrichten. Die Afghanin heißt eigentlich anders, auch wo sie lebt, möchte sie nicht veröffentlicht wissen. Zu gefährlich. Es sind wieder neue Zeiten in ihrem Land angebrochen, und in denen spricht sie lieber nur noch anonymisiert.

Als die USA mit den Verbündeten nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in Afghanistan einmarschierten, gab es zunächst nur einen Grund: Rache nehmen für die USA, den Amerikanern ein guter Bündnispartner sein für die anderen Verbündeten. Die Taliban hatten Osama bin Laden Unterschlupf gewährt, der Al-Qaida-Anführer orchestrierte die Anschläge von Afghanistan aus. Und die Machthaber in Kabul weigerten sich, ihn an die USA auszuliefern. Also begann der längste Krieg der amerikanischen Geschichte. 20 Jahre später ist er beendet. Und die Taliban sind wieder an der Macht. Fausia Abdullah schreibt vor ein paar Tagen, sie habe jetzt wieder einmal Atemnot und Schwierigkeiten, geradeaus zu laufen. Ihre Welt steht kopf.

Der Westen geht, geschlagen wie andere Supermächte zuvor. Zurück bleiben Millionen Menschen wie Fausia Abdullah, die an das westliche Versprechen geglaubt haben. Abdullah, 30 Jahre alt, hat nur noch wenige Erinnerungen an die Zeit, als die Taliban Afghanistan 1996 bis 2001 regierten, sie war noch ein kleines Mädchen, als die Islamisten den afghanischen Bürgerkrieg für sich entschieden und ihr Schreckensregime in Kabul errichteten. Sie hat ein neues Land kennengelernt, eines, in dem auch sie das Haus verlassen und arbeiten durfte. Fausia Abdullah war in einem international geförderten Frauenprojekt tätig, ob es damit nun weitergeht - sie weiß es nicht. Ihr letztes Monatsgehalt steht jedenfalls noch aus.

Das neue Afghanistan, es hört sich sehr nach dem alten Afghanistan an, auch wenn die Taliban-Führung bemüht ist, sich konzilianter zu geben als vor 20 Jahren. Aber die Realität, wie Fausia Abdullah sie erlebt, ist eine andere: "Sänger dürfen nicht mehr singen, die Medien ihre Lieder nicht mehr verbreiten, Frauen dürfen nicht mehr für ihre Rechte kämpfen, und auch die Männer dürfen nichts gegen die Taliban sagen", berichtet sie.

In Pakistan gruppierten die Taliban sich neu

Den Aufbau eines liberaleren Afghanistans mit mehr Rechten für Frauen und Schulen, in die auch Mädchen gehen dürfen, hat der Westen nicht von Beginn an in das von Kriegen und Konflikten ausgezehrte Land bringen wollen. Zunächst ging es um Anti-Terror-Bekämpfung, wie George W. Bush sie definiert hatte. Osama bin Laden erwischten die USA in Afghanistan nicht, erst zehn Jahre später schalteten sie ihn im Nachbarland Pakistan aus. Die Taliban waren zwar 2001 innerhalb weniger Wochen aus Kabul vertrieben. Die USA und ihre Verbündeten versäumten es damals aber, die Hand nach den geschwächten Islamisten auszustrecken. Stattdessen gingen die Taliban nach Pakistan, gruppierten sich neu.

Und so blieben Amerikaner, Briten, Deutsche Jahr um Jahr am Hindukusch und reichten als Einsatzgrund nach, dass Demokratie, Frauenrechte und mehr Bildung für alle Kinder nach Afghanistan gebracht werden sollten. Doch die Kombination von militärischer Präsenz und ziviler Aufbauhilfe gelang nie aus einem Guss, Milliardensummen versickerten im korrupten afghanischen Apparat. Wahlen gingen nie sauber über die Bühne. Aber die USA schickten nach jeder Abstimmung den Außenminister nach Kabul, um zwischen den verfeindeten Kontrahenten doch noch ein Ergebnis auszudealen.

Es gehen nun tatsächlich Millionen afghanischer Kinder zur Schule, Frauen wie Fausia Abdullah haben eine neue Freiheit kennengelernt, die vor allem in den größeren Städten, weniger auf dem Land herrschte. Ihre Eltern wollten nach dem Sturz der Taliban 2001, dass sie ihre Chancen nutzt, zur Schule geht, studiert. All das hat Fausia Abdullah getan, sie begann einen Job in einer Nichtregierungsorganisation (NGO), verdiente gutes Geld.

Als die Taliban vor drei Wochen die Macht übernahmen, sei sie zunächst einmal in eine Schockstarre verfallen und habe das Haus nicht verlassen. Nach einer Woche sei sie dann vorsichtig vor die Tür gegangen, "da habe ich sie auf der Straße gesehen und wusste: das ist jetzt die Realität". Die Taliban könnten Frauen nicht in die Augen schauen, sie habe nicht mehr die Freiheit, auf Facebook zu posten, was sie wolle. Geschichten, wie Fausia Abdullah sie erzählt, hört man dieser Tage häufig aus Afghanistan. Es sind Berichte von verängstigten Menschen, die den Taliban nicht trauen. Und tief enttäuscht sind vom Westen, der seine Versprechen nicht eingelöst hat. Fausia Abdullah schreibt: "Ich will nur noch weg hier."

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