Süddeutsche Zeitung

Afghanistan:Kämpfe unter Islamisten

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Nach einem schweren Bombenanschlag auf eine Moschee in Kabul gehen die Taliban offenbar militärisch gegen den Islamischen Staat vor. Die Extremisten-Gruppen sind seit Langem verfeindet.

Von Tomas Avenarius, Berlin

Nach dem verheerenden Bombenanschlag auf eine Moschee in Kabul haben die Taliban offenbar begonnen, gezielt gegen mögliche Schläferzellen des sogenannten Islamischen Staats (IS) vorzugehen. Bei Razzien im Norden der afghanischen Hauptstadt kam es laut Agenturberichten zu regelrechten Gefechten. Die Taliban sprachen nach den teilweise stundenlangen Schießereien von eigenen Erfolgen: Man habe eine große Zelle des "Islamischen Staats in Khorasan" - so nennt sich eine nur in Afghanistan operierende Gruppierung der Terrorgruppe IS - zerschlagen, dabei mehrere Militante getötet und andere gefangen genommen.

Der IS hatte den schweren Anschlag vom Sonntag zwar nicht für sich selbst reklamiert. Seine Täterschaft ist aber naheliegend. Der IS ist mit den ebenfalls radikal-islamischen Taliban seit Langem verfeindet, obwohl die ideologischen Unterschiede zwischen den Islamisten nicht wirklich groß sind. Im Gegensatz zu den Taliban verfügt der Islamische Staat aber über sehr wenig Rückhalt bei der einheimischen Bevölkerung. Unter den Kämpfern des IS, die für ihre auch für afghanische Verhältnisse besondere Brutalität berüchtigt sind, sollen viele ausländische Dschihadisten sein.

Bei dem Angriff auf die Eid-Gah-Moschee in der Innenstadt von Kabul, in der eine Trauerfeier für die Mutter von Taliban-Sprecher Sabihullah Mudschahid abgehalten wurde, waren mehrere Zivilisten gestorben. Genaue Opferzahlen wurden nicht bekannt gegeben. Das Attentat mitten in Kabul und dazu noch gegen eine Trauerfeier hoher Taliban-Vertreter ist für die neuen Herrscher ein schwerer Schlag. Bisher konnten die Taliban behaupten, mit ihrer eigenen Machtübernahme sei das Land wieder sicher geworden. Dafür sei ihnen die Bevölkerung dankbar und diese akzeptiere deshalb ihre rigide Herrschaft.

Doch der afghanische IS-Ableger bedroht diese Darstellung. Der IS hatte zwar bereits mehrere Anschläge gegen die Taliban verübt. Etwa ein Bombenattentat auf den Flughafen Kabul während der Evakuierung durch die US-Truppen; damals starben bei mehreren Explosionen an der Flughafenmauer 13 US-Soldaten und zahlreiche Afghanen. Auch in der Region Dschalalabad war es zu mehreren Attacken auf Konvois der Taliban gekommen.

Ehemalige Soldaten, Polizisten und Geheimdienstmitarbeiter könnten aus Angst vor den Taliban zum IS übergelaufen sein

Das Moschee-Attentat in Kabul wiegt aber besonders schwer, weil es einem der wohl wichtigsten Führer der Miliz galt. Sabihullah Mudschahid ist das bekannteste Gesicht der Taliban. Er tritt im Gegensatz zu Ministern und anderen Führern regelmäßig öffentlich in Erscheinung; er erklärt und rechtfertigt die Politik der Gruppe. Zudem hält er als einer der wenigen hochrangigen Taliban offiziell Kontakt zu internationalen Medien.

Der IS ist seit 2015 in Afghanistan aktiv. Er will im Gebiet des heutigen Afghanistan eine "Provinz" Khorasan errichten; der Name selbst kommt aus der Zeit der arabischen Herrschaft über Zentralasien. Der sunnitische IS hat in den vergangenen Jahren vor allem die Schiiten in Afghanistan angegriffen, die ihm als islamische Minderheiten-Sekte als Ketzer gelten. Er hat aber ebenso westliche Einrichtungen und Taliban-Kämpfer attackiert und dabei keinerlei Rücksicht auf Zivilisten genommen.

Anzeichen dafür, dass Anhänger der Mitte August von den Taliban gestürzten Regierung von Präsident Aschraf Ghani das Attentat begangen haben könnten, gab es bisher nicht. Es war bereits spekuliert worden, dass ehemalige Soldaten und Offiziere der im August unterlegenen Regierungsarmee Afghanistans und der zahlenmäßig sehr starken Polizeikräfte sich nun dem IS in Khorasan anschließen und so dessen Kampfstärke entscheidend verbessern könnten.

Ehemalige Soldaten, Polizisten und Geheimdienstmitarbeiter Afghanistans müssen die Taliban besonders fürchten. Die neuen Herrscher betrachten die meisten der ehemals Uniformierten wegen der früheren Zusammenarbeit mit den USA und den Nato-Truppen als "Verräter". Die Taliban haben zwar eine "Amnestie" ausgesprochen. Diese gilt aber offenbar nicht für hochrangige Militär- und Polizeivertreter. Die Mehrzahl der Offiziere ist daher in den Untergrund geflohen und könnte beim IS Schutz suchen.

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