Die kontroverse internationale Debatte über den weiteren Umgang mit dem Taliban-Regime in Afghanistan erreicht die Berliner Ampelkoalition. Außenpolitiker der Sozialdemokraten fordern, die Bundesregierung solle diplomatische Kontakte mit den Islamisten wieder aufnehmen und auch die Entwicklungszusammenarbeit mit dem Land. Die Grünen lehnen das mit deutlichen Worten ab.
Der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Nils Schmid, forderte im Tagesspiegel, das von Annalena Baerbock (Grüne) geführte Auswärtige Amt solle „darüber nachdenken, wieder Diplomaten nach Afghanistan zu entsenden“. Nur so könne sich die Regierung ein eigenes Bild machen. Ein jahrelanger Boykott werde die Herrschaft der Taliban nicht beenden. Indem die Ampel „aus nachvollziehbaren Gründen die diplomatische Anerkennung und Entwicklungshilfe verweigern, tragen wir ungewollt dazu bei, das Elend zu verschlimmern“.
Die FDP findet die Vorschläge zumindest „diskussionswürdig“
Ähnlich sieht es der Vorsitzende des Afghanistan-Untersuchungsausschusses, Ralf Stegner. Zwar sprach er sich nicht dafür aus, die Botschaft in Kabul wiederzueröffnen, es müsse aber mit den Taliban politische Kontakte geben. Wenn man mit ihnen nicht rede, könne man keinen Einfluss nehmen, sagte Stegner der Süddeutschen Zeitung. Auch er befürwortet, die Entwicklungszusammenarbeit mit Afghanistan wieder aufzunehmen. Deutschland habe während des Afghanistan-Einsatzes viel geleistet. Daran ließe sich anknüpfen, um die humanitäre Lage zu bessern.
Der außenpolitische Sprecher der FDP im Bundestag, Ulrich Lechte, findet die Vorschläge „sicherlich diskussionswürdig“. Eine diplomatische Präsenz sei jedoch primär eine Frage der Sicherheit. Ob es Bedarf für eine Botschaft gebe, müsse das Auswärtige Amt definieren.
Die Grünen dagegen weisen die Vorstöße aus der SPD vehement zurück. „Ich habe die Forderungen, dass wir diplomatische Beziehungen zu den Taliban aufnehmen sollten, mit Verwunderung und Staunen zur Kenntnis genommen“, sagt Grünen-Chef Omid Nouripour. „Ich muss es hier mal so deutlich sagen: Die Afghanistan-Expertise der SPD ist ja bereits unter Heiko Maas am Hindukusch zerschellt“, sagt Nouripour mit Blick auf den früheren sozialdemokratischen Außenminister.
Gerad erst kam die Diskussion über Abschiebungen nach Afghanistan auf
Schon länger hat sich bei den Grünen Ärger angestaut. Neu entfacht hatten die Diskussionen zuletzt Forderungen aus der SPD, Abschiebungen nach Afghanistan wieder aufzunehmen. Ein Rückführungsabkommen mit Afghanistan habe einen Preis, warnte Nouripour damals, nämlich dass man den Taliban Geld zahlen müsse. Nach dem tödlichen Messerangriff auf einen Polizisten in Mannheim hatten allerdings auch führende Grüne Abschiebungen Schwerkrimineller befürwortet, Baerbock eingeschlossen.
Diplomatische Beziehungen aufzunehmen, hält die Grünen-Spitze dennoch für falsch. „Ich glaube nicht, dass es hilfreich ist, jetzt Gespräche mit einer Terrororganisation zu führen, wenn wir gleichzeitig versuchen, Wege zu finden, wie wir Islamismus besser bekämpfen“, sagt Nouripour. Wenn die SPD glaube, dass das wegen der Abschiebungen passieren solle, müsse sie das auch sagen. Nicht redlich sei es, das zu bemänteln, indem man vorgebe, den Menschen helfen zu wollen.
Das Auswärtige Amt hat „aktuell keine Pläne“ zur Wiedereröffnung der Botschaft
Aus dem Auswärtigen Amt heißt es, kein EU-Mitgliedstaat habe seit der Machtübernahme der Taliban im August 2021 wieder eine Botschaft eröffnet. Man habe „aktuell auch keine Pläne dafür“. Über Katar bestünden „punktuell Kontakte zur De-facto-Regierung auf technischer Ebene“, bei denen sich Berlin für die Menschen in Afghanistan einsetze, besonders für Rechte von Frauen und Mädchen. Sie würden systematisch aus dem öffentlichen Leben verbannt. Zugleich seien Taliban-Vertreter mit Terror-Sanktionen der Vereinten Nationen belegt. Der Weg aus der Isolation heraus könne über den UN-geleiteten sogenannten Doha-Prozess führen, den Deutschland unterstützt. Dabei soll die Taliban-Regierung zur Einhaltung internationaler Verpflichtungen Afghanistans bewegt werden.
Das Auswärtige Amt leistet aber weiter humanitäre Hilfe. Im Jahr 2023 sagte die Regierung 169 Millionen Euro zu, vor allem um Ernährung, grundlegende Gesundheitsversorgung, aber auch das Räumen von Minen zu gewährleisten. Die Hilfe läuft über internationale Organisationen und Nichtregierungsorganisationen. Seit den Arbeitsverboten für Frauen unterstützt die Bundesregierung nur dort, wo Frauen arbeiten und die Hilfe auch Frauen und Kindern zugutekommt.
Aus dem SPD-geführten Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung von Svenja Schulze heißt es, es gebe keine Überlegungen, die Entwicklungszusammenarbeit in Afghanistan wieder aufzunehmen. Es gebe Wege, die Menschen ohne die Regierung zu erreichen.