Wenn es stimmt, was über ihn so alles erzählt wird, dann hatte er Humor. Wobei - unbedingt treffen hätte einer den einäugigen Taliban-Chef und "Führer der Gläubigen" dennoch nicht wollen: Mullah Mohammed Omar Akhondzadah galt als ziemlich unerbittlich, was den Umgang mit Feinden und Ungläubigen betraf. Jetzt soll der afghanische Warlord und Widerstandskämpfer tot sein. Hochrangige Kreise in der Kabuler Regierung und aus dem pakistanischen Kabinett wollen Belege dafür haben, dass der etwa 55-jährige Milizenführer, Bin-Laden-Schwager und Al-Qaida-Mentor vor zwei oder drei Jahren in Pakistan gestorben sei: Opfer eines Streits mit anderen Warlords, bei dem die Meinungsverschiedenheiten mit der Waffe geklärt worden sein sollen. Andere Berichte besagen, dass er an einer Krankheit gestorben ist. Beweise gibt es bisher weder für die eine noch für die andere Version. Die Taliban äußerten sich zunächst nicht und dem afghanischen Geheimdienst, der sich über Omars Ende sicher zu sein scheint, muss man nicht alles glauben. Sollte der im Krieg gegen die Sowjets groß gewordene Paschtunen-Kämpfer wirklich tot sein, hätten die Taliban ihren Gründervater verloren. Mehr aber auch nicht. Den 2002 am Boden begonnenen Krieg gegen die US-Besatzer und gegen die prowestliche Regierung in Kabul führen bei den Korankriegern die Feldkommandeure inzwischen relativ selbständig und auch das sonstige Sagen haben bei den Taliban jüngere Männer. Dennoch war Omar, der sein rechtes Auge durch einen sowjetischen Granatsplitter verloren haben soll, seit 1996 Taliban-Chef und dazu der mit dem Mantel des Propheten gekürte "Führer der Gläubigen". Omar war in gewisser Weise eine militärische, politische und wohl auch religiöse Autorität; die Investitur mit dem in Kandahar aufbewahrten Umhang des Propheten Mohammed im Jahr 1996 sollte dies sinnbildlich machen. Auch wenn der damalige Taliban-Staat - das "Emirat Afghanistan" - von der Weltgemeinschaft Ende der Neunzigerjahre nicht anerkannt wurde, kam das Verhängnis für Omar als offiziellen Staatschef erst durch seine kurzsichtige Allianz mit al-Qaida. Omar hatte dem saudi-arabischen Terroristen Osama bin Laden trotz internationaler Proteste kurz vor der Jahrtausendwende offiziell Gastrecht in Afghanistan eingeräumt und auch nach dem Terror vom 11. September 2001 an diesem provozierenden Bündnis festgehalten. Sogar eine seiner Töchter hatte er mit dem Al-Qaida-Chef verheiratet und im Gegenzug eine von dessen Töchtern geehelicht: Die Taliban-Treue zu al-Qaida ging bei Mullah Omar quer durch die ganze Familie.
Die heutigen Taliban mit ihrem pakistanischem Ableger sind vielen Afghanen verhasst
Seit dem 11. September und dem Angriff der US-geführten Koalition auf das damalige Taliban-Reich lebte Omar - wie sein Al-Qaida-Weggefährte Bin Laden - im Untergrund. Immer in Angst vor einer von einem Jet oder einer Drohne abgefeuerten US-Rakete oder einem die Türen eintretenden Trupp Navy Seals dürfte sich der angeblich nierenkranke Afghane entweder in irgendwelchen eisigen Berghöhlen im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet versteckt haben oder in einer pakistanischen Großstadt: Die USA hatten zehn Millionen Dollar Belohnung auf den Einäugigen ausgesetzt, und Verräter gibt es auch in Afghanistan jede Menge.
Bei den immer wieder in Erwägung gezogenen Friedensgesprächen mit den Taliban hätte Mullah Omar vielleicht eine Rolle spielen können. Die heutigen Taliban samt ihrem pakistanischen Ableger sind vielen Afghanen verhasst. Aber als Vertreter der alten Generation und Kämpfer gegen die Sowjets sowie später gegen die Warlords, die das Land unbarmherzig terrorisierten, genoss Mullah Omar einen gewissen Respekt. Er hatte die Taliban als Truppe der "Korankrieger" eigens gegründet, um gegen die früheren Mudschahedin vorzugehen, die nach dem Krieg gegen die Rote Armee ihre Kalaschnikows gegen das eigene Volk richteten. Offizieller Gründungsakt der Taliban war der Angriff auf das Lager eines Warlords, der zwei Minderjährige entführt und missbraucht hatte: Omar und ein paar Gleichgesinnte griffen sich den Vergewaltiger und hängten ihn am Kanonenrohr des nächstbesten Panzers auf. Andere Quellen benennen eine weniger ruhmreiche Vergangenheit des Taliban-Chefs: Demnach hatte der pakistanische Geheimdienst die Korankrieger-Truppe in einer Geheimaktion ins Leben gerufen, um im unruhigen Nachbarland mehr Einfluss zu gewinnen, und hatte den einäugigen Mullah Omar als willfährige Marionette Islamabads an deren Spitze gestellt.