Süddeutsche Zeitung

Afghanistan:Vorstoß in die letzten Täler

Die Taliban erobern nach eigenen Angaben Pandschir, die letzte Provinz, die bislang noch nicht unter ihrer Kontrolle stand. Ein Milizenführer ruft weiter zum Widerstand gegen die Islamisten auf.

Von Tobias Matern, Genf

Der Krieg in Afghanistan ist beendet, zumindest behaupten das die neuen Machthaber. In den vergangenen Tagen war zwischen Kämpfern der Taliban und der "Nationalen Widerstandsfront" um den ehemaligen Vizepräsidenten Amrullah Saleh und den Milizenführer Ahmad Massud mit aller Härte um die Provinz Pandschir gekämpft worden. Es war die letzte Region des Landes, die sich noch nicht in den Händen der Taliban befand. "Pandschir ist unter unserer Kontrolle", erwiderte Taliban-Sprecher Suhail Shaheen auf Anfrage der Süddeutschen Zeitung am Montag in einer Textnachricht.

Sowohl während der sowjetischen Besatzung Afghanistans in den 1980er-Jahren als auch während des Taliban-Regimes (1996-2001) war die Provinz Pandschir nicht von den jeweiligen Kabuler Machthabern eingenommen worden. Ahmad Schah Massud, der Vater des heutigen Milizenchefs, hatte die von hier aus operierenden Mudschahedin angeführt. Zwei Tage vor den Anschlägen des 11. September 2001 hatte ihn ein Al-Qaida-Terrorist getötet. Den Anschlag damals überlebt hatte Fahim Daschty, ein enger Vertrauter Massuds und Sprecher seines Sohnes. Ein Weggefährte Daschtys sagte der SZ am Montag, dieser sei bei Gefechten mit den Taliban ums Leben gekommen, dies war aber zunächst nicht bestätigt. Die Taliban hätten weite Teile der Pandschir-Provinz eingenommen, räumte der SZ-Informant ein.

In einer am Montag verbreiteten Ansprache wollte Massud die Niederlage aber noch nicht eingestehen. Den Angehörigen der Opfer aus der Widerstandsbewegung sprach er sein Beileid aus, die Niederlage seiner Bewegung gestand er indes noch nicht ein. "Die Taliban haben gestern eine umfassende Offensive gegen unsere Stellungen begonnen", sagte Massud. Zahlreiche Menschen seien dabei ums Leben gekommen, auch enge Vertraute von ihm. Er rief dazu auf, den bewaffneten Widerstand gegen die Taliban fortzusetzen: "Wo immer ihr auch seid, im Land oder außerhalb, erhebt euch für die Ehre und die Freiheit unseres Landes. Unser Widerstand wird fortgeführt."

"Brutaler und extremistischer"

Massud macht keine Angaben dazu, ob er sich zum Zeitpunkt der Aufnahme noch in Pandschir aufhielt oder nicht. "Wir werden bis zum Ende für die Freiheit kämpfen", betonte er. Massud erwähnte noch eine Kundgebung von Frauen, die am Samstag in Kabul für ihre Rechte demonstriert hatten, und lobte ihren Mut. Die Taliban hatten die Versammlung aufgelöst. Er kritisierte die internationale Gemeinschaft für ihre Bereitschaft, mit den Islamisten zu kooperieren: "Sie haben sich nicht geändert, sondern sind brutaler und extremistischer geworden."

Nach der Ankündigung der USA im Frühjahr, die Truppen bis Ende August ganz aus dem Land abzuziehen, hatten die Taliban einen beispiellosen Vormarsch zu verzeichnen. Vor drei Wochen nahmen die Islamisten auch Kabul ein. Die Regierung des Präsidenten Aschraf Ghani kollabierte, der Staatschef und viele Minister flohen ins Ausland. Die USA und ihre Verbündeten hatten Ende August nach einer Evakuierungsmission für Tausende ehemalige afghanische Mitarbeiter das Land verlassen, zahlreiche Ortskräfte sind aber noch immer im Land. Sie sollen ausgeflogen werden, wenn der Flughafen Kabul wieder in vollem Betrieb ist, wobei Beobachter bezweifeln, dass alle die Gelegenheit bekommen werden, das Land zu verlassen. Um den ramponierten Airport wieder funktionsfähig zu machen, sind katarische und türkische Spezialisten in der afghanischen Hauptstadt.

In Kabul trat am Montag der Taliban-Sprecher Zabihullah Mudschahid auf, er wird als möglicher Informationsminister der neuen Taliban-Regierung gehandelt. "Der Krieg ist beendet", sagte er. Eigentlich habe man versucht, mit der Widerstandsbewegung in Pandschir den Konflikt über Verhandlungen zu lösen, aber die Gespräche seien kollabiert. Er rief alle afghanischen Sicherheitskräfte auf, sich nun in die Taliban-Streitkräfte zu integrieren. Die Taliban wollten gute Beziehungen zu allen Ländern der Welt, sagte Mudschahid, vor allem aber zu China, das eine wichtige Rolle spielen könne bei der Entwicklung Afghanistans.

Schon bevor die Taliban Kabul erobert hatten, war eine hochrangige Delegation der Islamisten in Peking auf höchster Ebene empfangen worden. Westliche Regierungen haben zwar durchblicken lassen, dass sie zu einer Kooperation bereit seien, die von den Taliban geforderte diplomatische Anerkennung ist im Moment aber noch kein Thema.

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