Streit über afghanische Ortskräfte:Menschenrechtspolitiker nehmen Merkel in die Pflicht

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Wird "dringend ersucht", in der Debatte über den Umgang mit früheren afghanischen Ortskräften der Bundeswehr ihre Richtlinienkompetenz wahrzunehmen: Kanzlerin Merkel. (Foto: Michael Sohn/dpa)

"Fassungslos und beschämt": Der Umgang Deutschlands mit früheren Ortskräften der Bundeswehr in Afghanistan empört Abgeordnete aus Koalition und Opposition. Sie fordern in einem Appell jetzt die Kanzlerin zum Handeln auf.

Von Daniel Brössler, Berlin

In einem eindringlichen Aufruf haben Menschenrechtspolitiker von Koalition und Opposition im Bundestag an Kanzlerin Angela Merkel appelliert, sich persönlich des Schicksals früherer Ortskräfte der Bundeswehr in Afghanistan anzunehmen. "Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, die Bundesregierung und auch Sie ganz persönlich stehen in politischer wie moralischer Verantwortung für diese Menschen, ohne die der schwierige und gefährliche Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan schlicht nicht möglich gewesen wäre", heißt es in dem Appell, der der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Merkel wird von den Abgeordneten "dringend ersucht", ihre Richtlinienkompetenz wahrzunehmen, um eine zügige Ausreise seit dem Abzug der Bundeswehr gefährdeter früherer Ortskräfte nach Deutschland zu ermöglichen.

"Wir stehen fassungslos und beschämt vor der Art und Weise, wie Institutionen der Bundesrepublik Deutschland mit Ortskräften in Afghanistan umgehen, die unserem Land und der Sicherheit unserer Soldatinnen und Soldaten viele Jahre lang treu und zuverlässig gedient haben, die wegen dieses Einsatzes für unser Land um ihr Leben fürchten müssen, und die jetzt in vielen Fällen ganz offenbar ihrem Schicksal überlassen werden sollen", beklagen die Abgeordneten. Unterzeichnet ist der Appell von den menschenrechtspolitischen Sprecherinnen und Sprechern der Grünen, der CDU/CSU, der FDP und der SPD im Bundestag, Margarete Bause, Michael Brand, Gyde Jensen und Frank Schwabe.

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So sei von Männern, Frauen und Kindern zu hören, "die unserer Fürsorgepflicht unterstehen, in Afghanistan bei deutschen Stellen mit ihrem berechtigten Anliegen auf taube Ohren stoßen oder, noch schlimmer, gar nicht erst vorgelassen werden, wenn sie auf ihre Gefährdung hinweisen wollen". Der Bundesregierung werfen die Abgeordneten vor, die Lage schönzufärben. So sei anders als von mehreren Ressorts zuletzt behauptet "schlicht unwahr, dass sich die für eine Ausreise nach Deutschland infrage kommenden Personen lediglich hätten registrieren müssen - und dann sozusagen automatisch auch eine Einreisebewilligung erhalten hätten".

Eine Frage der Glaubwürdigkeit

Afghanische Ortskräfte, denen die Ausreise nach Deutschland gelungen sei, fänden sich nach ihrer Ankunft überdies häufig auf sich allein gestellt und erhielten bislang vor allem zivilgesellschaftlich organisierte Unterstützung, kritisieren die Abgeordneten. Es gehe beim Umgang Deutschlands mit den afghanischen Ortskräften aber nicht nur um individuelle Schicksale. "Es geht auch darum, wie glaubwürdig unser Land international für seine Werte und sein gegebenes Wort einsteht", heißt es in dem Schreiben.

Die Bundesregierung verweist auch auf 2400 bereits erteilte Visa für ehemalige afghanische Mitarbeiter und deren Familien. Das "Patenschaftsnetzwerk Afghanische Ortskräfte" ging aber zuletzt davon aus, dass von diesen bislang erst etwa 100 Menschen Deutschland erreicht hätten. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hatte in der SZ darauf verwiesen, dass es jedem Ministerium selbst überlassen sei, ob Ortskräfte eine plausibel begründete Gefährdungsanzeige stellen müssen oder ob, wie vom Bundesverteidigungsministerium gefordert, eine Gefährdung automatisch angenommen wird, wenn jemand nachweislich Ortskraft war. Die menschenrechtspolitischen Sprecher fordern von Merkel, eine einheitliche Regelung zu veranlassen.

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