Afghanistan:Asselborn: EU sollte 40 000 bis 50 000 Menschen aufnehmen

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Luxemburgs Einwanderungsminister greift die Regierungschefs aus Österreich und Slowenien hart an. US-Außenminister Blinken sagt über Ortskräfte in Afghanistan: "Unsere Verpflichtung ihnen gegenüber hat keine Frist."

Nach dem Abzug der internationalen Truppen aus Afghanistan haben die islamistischen Taliban die Macht im Land übernommen - und gestalten es nach ihren Vorstellungen um. Die wichtigsten Entwicklungen im Newsblog.

Vor einem EU-Ministertreffen zu Afghanistan hat Luxemburgs Einwanderungsminister Jean Asselborn für die Aufnahme Zehntausender afghanischer Flüchtlinge in der EU geworben. "Die Europäische Union sollte bereit sein, 40 000 bis 50 000 Resettlement-Plätze für afghanische Flüchtlinge zur Verfügung zu stellen", sagte Asselborn der Welt. "Damit würden wir Mädchen, Frauen, ehemalige Richterinnen, Menschenrechts-Aktivisten oder andere Personen, deren Leben unmittelbar bedroht ist, im Rahmen von Umsiedlungen auf einem legalen und sicheren Weg in Zusammenarbeit mit dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) in die EU holen."

Mit Blick auf das Treffen der EU-Innenminister an diesem Dienstag äußerte Asselborn Kritik an Österreichs Kanzler Sebastian Kurz und dem slowenischen Ministerpräsidenten Janez Jansa: "Ich hoffe, dass es Widerstand gibt gegen Herrn Kurz aus Österreich und Herrn Janša aus Slowenien, die sich beide klar und definitiv im Einklang mit Orban, Salvini und Le Pen befinden. Sie alle lehnen eine direkte menschliche Solidarität in diesem extrem dramatischen Moment mit dem gefolterten Volk in Afghanistan ab." Er fuhr fort: "Sie verlieren damit die Qualität, ein Europäer zu sein. Dagegen muss die Mehrheit der Mitgliedstaaten für die Werte der Europäischen Union stehen."

Kurz hatte sich dagegen ausgesprochen, Flüchtlingen aus Afghanistan Schutz zu gewähren. Jansa hatte auf Twitter erklärt, man solle nur Menschen aufnehmen, "die uns während der Nato-Operation geholfen haben". Slowenien hat derzeit die EU-Ratspräsidentschaft inne. Die EU-Kommission hatte kürzlich alle EU-Länder aufgerufen, über das Umsiedlungsprogramm (Resettlement) des UN-Flüchtlingshilfswerks mehr Menschen aus Afghanistan aufzunehmen.

Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) will seine Gespräche über die Aufnahme afghanischer Schutzsuchender am Dienstag in Pakistan fortsetzen. Vor seinem Besuch hatte Maas am Montag Gespräche in Usbekistan und Tadschikistan geführt. Die drei Nachbarländer Afghanistans zählen zu den ersten Anlaufstationen für Menschen, die sich auf dem Landweg vor den militant-islamistischen Taliban in Sicherheit bringen wollen. Die Bundesregierung bemüht sich darum, mehr als 40 000 von ihnen in Deutschland aufzunehmen.

Pakistan hat in den vergangenen 40 Jahren Millionen afghanischer Flüchtlinge aufgenommen. Zuletzt hatten Regierungsvertreter erklärt, dass man keine weiteren Flüchtlinge ins Land einreisen lassen wolle, weil Pakistan sich dies nicht leisten könne. ( 31.08.2021)

  • Afghanistan-Einsatz der USA: "Mit diesem Abzug ist viel Schmerz verbunden" (SZ Plus)

Blinken über Ortskräfte: "Unsere Verpflichtung ihnen gegenüber hat keine Frist"

Nach dem Ende der Evakuierungsmission der US-Streitkräfte sind nach Angaben von US-Außenminister Antony Blinken noch mehr als 100 Amerikaner in Afghanistan, die das Land verlassen wollen. Man gehe davon aus, dass ihre Zahl "unter 200, wahrscheinlich näher an 100" liege, sagte Blinken in Washington. Er betonte, die US-Regierung werde sich weiterhin um sie bemühen. Das gelte auch für US-Staatsbürger, die familiäre Wurzeln in Afghanistan hätten und sich womöglich erst später für eine Ausreise entscheiden würden. "Wir werden ihnen helfen, auszureisen."

Blinken sagte, man habe sich auch intensiv um die Rettung von Afghanen bemüht, die mit den USA zusammengearbeitet hatten. "Wir haben viele herausgeholt, aber viele sind noch dort." Man werde weiter daran arbeiten, ihnen zu helfen. "Unsere Verpflichtung ihnen gegenüber hat keine Frist." Blinken betonte, die Taliban hätten zugesagt, Afghanen ausreisen zu lassen, "einschließlich jener, die für die Amerikaner gearbeitet haben".

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Mit dem Abzug der Truppen aus Kabul haben die USA ihre diplomatische Präsenz in Afghanistan beendet und die Aktivitäten in die katarische Hauptstadt Doha verlegt, wie Blinken erläuterte. "Angesichts der unsicheren Sicherheitslage und der politischen Situation in Afghanistan war dies ein umsichtiger Schritt." Von Doha aus wolle man konsularische Angelegenheiten regeln, aber auch humanitäre Hilfe verwalten und die Zusammenarbeiten mit den Verbündeten organisieren. Humanitäre Hilfe werde aber nicht über die Taliban-Regierung erfolgen, sondern über unabhängige Organisationen wie die Vereinten Nationen oder Hilfsorganisationen. "Wir erwarten, dass diese Bemühungen nicht durch die Taliban behindert werden."

Eine Regierung unter Führung der Taliban in Afghanistan muss sich nach den Worten von Blinken internationale Legitimität und Unterstützung verdienen. "Die Taliban können das tun", sagte der Außenminister. Sie müssten dafür ihre Zusagen zur Reisefreiheit einhalten, Grundrechte respektieren und eine inklusive Regierung bilden. Sie dürften außerdem Terroristen keine Zuflucht gewähren und keine Racheaktionen gegen ihre Kontrahenten ausüben. Die USA würden auch nach dem Abzug der US-Truppen "solide" Möglichkeiten zur Terrorismusbekämpfung in der Region aufrechterhalten, sagte Blinken ohne nähere Angaben. ( 31.08.2021)

US-Truppen vollständig aus Afghanistan abgezogen

Die letzten US-Soldaten haben sich dem Pentagon zufolge aus Afghanistan zurückgezogen. "Ich bin hier, um die Vollendung unseres Abzugs aus Afghanistan zu verkünden", sagte US-General Kenneth McKenzie in einer Videoschalte mit Journalisten im Pentagon.

Das letzte C-17-Militärflugzeug habe eine Minute vor Mitternacht (Ortszeit) vom Kabuler Flughafen abgehoben. Mit dieser Maschine habe auch der US-Botschafter das Land verlassen. Damit ende auch die militärische Mission zur Evakuierung von Amerikanern, Verbündeten und schutzsuchenden Afghanen. "Selbst, wenn wir noch zehn Tage gebleiben wären, wir hätten nicht alle herausholen können, die wir herausholen wollen", sagte McKenzie. Allerdings hätten sich zum Zeitpunkt, als das letzte Flugzeug abhob, keine noch in Sicherheit zu bringende Personen mehr auf dem Gelände des Flughafens befunden.

US-Präsident Joe Biden hatte diesen Dienstag als Stichtag für den US-Truppenabzug gesetzt. Die Bundeswehr hatte ihren Rettungseinsatz am Donnerstag beendet, Frankreich, Spanien und Großbritannien folgten am Freitag und Samstag.

Fast 120 000 Personen, diese Zahl nannte das Weiße Haus, sind von den USA und ihren Verbündeten seit dem 14. August aus Afghanistan ausgeflogen worden. Immer noch befinden sich Zehntausende Menschen in Afghanistan, die vor den Taliban fliehen wollen - bei den meisten handelt es sich um Afghanen. Die USA und die westlichen Partner haben wiederholt betont, dass es auch nach dem Ende des Einsatzes die Möglichkeit geben soll, Menschen in Sicherheit zu bringen. "Die militärische Phase dieser Operation ist beendet", sagte General McKenzie. Nun beginne die diplomatische Fortsetzung. Allerdings hätten tatsächlich nicht alle US-Amerikaner das Land verlassen wollen. Das Außenministerium werde nun daran arbeiten, den verbliebenen Bürgerinnen und Bürgern die Ausreise zu ermöglichen. McKenzie schätzt, dass es sich um einige wenige Hundert Menschen handelt.

Die Taliban feiern den Abzug der US-Truppen. "Wir schreiben wieder Geschichte. Die 20-jährige Besetzung Afghanistans durch die USA und die Nato endete heute Abend. Gott ist groß", schrieb das hochrangige Taliban-Mitglied Anas Hakkani auf Twitter. ( 30.08.2021)

UN-Sicherheitsrat beschließt Afghanistan-Resolution

Der UN-Sicherheitsrat erhöht den Druck auf die Taliban, Afghanen ungehindert aus ihrem Heimatland ausreisen zu lassen. Eine entsprechende Resolution wurde mit 13 Ja-Stimmen angenommen, Russland und China enthielten sich. In der Resolution verweist der Sicherheitsrat auf die Zusagen der Taliban vom Freitag, dass Afghanen das Land jederzeit und auf allen möglichen Wegen ungehindert verlassen dürften. Der Sicherheitsrat "erwartet, dass die Taliban diese und alle anderen Verpflichtungen einhalten", heißt es.

Die Resolution fordert zugleich, dass Afghanistan nicht zu einem Hafen für Terroristen und ihre Anschlagspläne werden dürfe. Ebenfalls hervorgehoben wird die Notwendigkeit für ungehinderten humanitären Zugang sowie die Wahrung der Menschenrechte, insbesondere "der Rechte von Frauen, Kindern und Minderheiten". Eine vom französischen Präsidenten Emmanuel Macron zuletzt ins Spiel gebrachte UN-Sicherheitszone in Kabul wird in der Resolution nicht erwähnt.

Wie westliche Diplomaten berichten, wurde bei dieser Resolution eine seltene Einigkeit deutlich. Bei den meisten großen Krisen in den vergangenen Jahren waren sich die ständigen Mitglieder - vor allem die USA, China und Russland - oft uneins und blockierten gemeinsame Lösungen. ( 30.08.2021)

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