Afghanistan:Mörderische Signale für den Verhandlungstisch

Afghanistan: Alltag in Afghanistan: Ein Anschlag in der Hauptstadt Kabul hat am Samstag mehrere Menschen das Leben gekostet.

Alltag in Afghanistan: Ein Anschlag in der Hauptstadt Kabul hat am Samstag mehrere Menschen das Leben gekostet.

(Foto: Rahmat Gul/AP)

Anschläge und gezielte Tötungen fortschrittlicher Aktivisten begleiten die Gespräche der Kabuler Regierung mit den Taliban. Alles weist darauf hin, dass die Islamisten so den Druck erhöhen wollen.

Von Tobias Matern, München

Er klingt ganz nüchtern, dabei beschreibt er nicht weniger als den Wahnsinn. "Eine Explosion hat sich ereignet", sagte also einer der wichtigsten Politiker Afghanistans am Samstag. "Natürlich hat es Tote gegeben. Das ist das Leben der Afghanen." Wobei mit Leben wohl vor allem der Alltag gemeint ist.

Abdullah Abdullah sagt diese Sätze, er ist Chef des Hohen Friedensrates, der mit den Taliban in Doha eine Vereinbarung für eine Machtteilung in Afghanistan aushandeln soll. Die Zeit dafür drängt. Schließlich steht im Jahr 2021, Ende April, um genau zu sein, der Abzug der westlichen Truppen an. Und auch wenn in Joe Biden nun wieder ein US-Präsident ins Weiße Haus einzieht, der für mehr Kontinuität in der Außenpolitik steht, richten sich die Afghanen darauf ein, dass der westliche Einsatz dann tatsächlich enden wird. Dieser Abzug ist zwar eigentlich an Bedingungen geknüpft. Doch in Kabul rechnet auch nach dem Machtwechsel in den USA kaum jemand damit, dass der Westen diesen Plan noch einmal fundamental ändern wird - auch wenn der Frieden in weiter Ferne bleibt.

In der Hauptstadt kamen seit September 130 Menschen bei Attentaten um

Der afghanische Alltag ist geprägt von Anschlägen wie am Samstag in Kabul, als bei zahlreichen Explosionen mindestens vier Menschen starben. Auch die gezielten Tötungen haben wieder drastisch zugenommen: Aktivisten, Journalisten, Politiker fallen den Attacken zum Opfer. Die Frauenrechtlerin Freschta Kohistani starb am vergangenen Donnerstag nach einem Attentat. Sie wurde gemeinsam mit ihrem Bruder im Nordosten des Landes von einem Unbekannten auf einem Motorrad erschossen.

Zuvor hatten ebenfalls Unbekannte Jusuf Raschid getötet, den Chef einer Wahlbeobachtungsgruppe, die sich für mehr Demokratie einsetzt. Es sind die jungen Kämpferinnen und Kämpfer für eine bessere Zukunft ihres Landes, die nun zunehmend ins Visier geraten.

Im September hatte Abdullah mit seiner Delegation begonnen, in Doha mit den Taliban zu verhandeln. Nach einer Zählung des afghanischen Nachrichtensenders Tolo News sind allein in der Hauptstadt Kabul in den vergangenen beiden Monaten 130 Menschen Anschlägen zum Opfer gefallen. Und auch die Aussichten für 2021 lassen wenig Raum für Optimismus: "Die Gespräche werden sich unendlich lange hinziehen", sagt der Afghanistan-Kenner Ahmed Rashid der SZ. "Es wird keinen Waffenstillstand geben, die Taliban werden ihre gezielten Attentate fortsetzen, mehr Afghanen werden versuchen, ins Ausland zu fliehen. Um es kurz zu sagen: keine große Veränderung zu 2020."

Die Trump-Regierung hat den Abzug der US-Truppen schon per Abkommen zugesagt

Dabei steht Afghanistan mit dem avisierten westlichen Abzug ein einschneidender Wandel bevor - nach 20 Jahren ausländischer Präsenz soll das Land vollständig für seine eigene Sicherheit sorgen. Doch die Trump-Regierung hinterlässt der Regierung in Kabul eine denkbar schlechte diplomatische Ausgangslage: Die USA haben mit den Taliban in Doha bereits ein Abkommen ausgehandelt. Für die Zusage Washingtons, die Truppen 2021 aus Afghanistan abzuziehen, sollen die Taliban im Gegenzug ihren Teil dazu beitragen, dass von afghanischem Boden keine Terrorgefahr mehr ausgeht.

Doch dieser Deal hat einen schweren Makel: Die afghanische Regierung war daran nicht beteiligt, und so muss die Kabuler Delegation nun in Doha mit den Taliban mühsam einen innerafghanischen Frieden auf den Weg bringen, ohne dabei durch militärischen Druck des Westens auf die Taliban Rückenwind zu erhalten. Das wird Zeit brauchen, es hat allein drei Monate gedauert, sich auf das Prozedere zu einigen. Aber zumindest laufen die Gespräche noch. Die Verhandlungsparteien besprechen sich gerade untereinander, um dann vom 5. Januar an die Gespräche wieder in großer Runde aufzunehmen, wie ein Mitglied der afghanischen Verhandlungsdelegation der SZ am Sonntag sagte.

Vizepräsident Amrullah Saleh spricht von einer regelrechten "Terror-Kampagne"

Präsident Aschraf Ghani und Chef-Unterhändler Abdullah legten am Sonntag zudem fest, dass die Verhandlungen zwar zunächst in Doha fortgesetzt werden sollen, sie dann aber bald in Afghanistan stattfinden müssten. Die Taliban dürften sich den Ort aussuchen, teilte der Präsident mit. Von den Islamisten gab es dazu zunächst keine Stellungnahme.

Die Taliban sind nach Ansicht zahlreicher Beobachter für die gezielten Tötungen prominenter Aktivisten und Politiker verantwortlich, auf diese Weise wollen sie offen den Druck am Verhandlungstisch erhöhen. Zwar bestreiten die Islamisten, hinter diesen Attacken zu stecken, aber auch der afghanische Vizepräsident Amrullah Saleh betonte, es sei eindeutig, dass die Taliban die Haupttäter dieser Mordserie seien. Sie verfolgten eine regelrechte "Terror-Kampagne", twitterte Saleh. Dennoch gibt es für die afghanische Regierung keine Alternative, als mit den Taliban weiter zu reden.

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