Afghanistan:Mit Mardern und Mörsern

"Es war an der Zeit, diese Eskalation vorzunehmen": Deutsche Soldaten gehen zum ersten Mal in die Offensive gegen die Taliban - der Afghanistan-Einsatz bekommt eine neue Dimension.

D. Brössler u. H. Leyendecker

Auf dem Sprechzettel des Verteidigungsministers steht ganz oben das feierliche Soldaten-Gelöbnis. Gut sei es, würdigt er, dass es am Jahrestag des Attentates auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944 vor dem Reichstagsgebäude stattgefunden habe. Danach kommt Franz Josef Jung zu sprechen auf die geplante Einweihung eines Ehrenmals der Bundeswehr, die neue Tapferkeitsmedaille und einiges mehr.

Afghanistan, Bundeswehr, Offensive, ddp

"Besonders herausgefordert": Soldaten der Quick Reaction Force (QRF) führen hier in Afghanistan noch eine Gefechtsübung durch: Doch mittlerweile hat der Einsatz eine neue Dimension erreicht.

(Foto: Foto: ddp)

Der Auftritt des Ministers vor der Presse gilt der "Bundeswehr im Einsatz für den Frieden". Und während Jung spricht, kämpfen deutsche Soldaten in einem Einsatz, der wegen seines Umfangs und offensiven Charakters einen Einschnitt für die Bundeswehr bedeutet.

Bis Jung das aber zur Sprache bringt, vergeht ein Weilchen. "Besonders herausgefordert" sei die Bundeswehr im Raum Kundus, räumt er schließlich ein. Dort gebe es eine "kritische Lage".

Wie kritisch sie ist, hat die Bundeswehr in den vergangenen Tagen erst nach und nach erkennen lassen. Berichtet wurde von Angriffen auf die deutschen Kräfte und vom Tod eines zwischen die Fronten geratenen Jugendlichen.

Sie findet statt - auch das ist ungewöhnlich - unter Führung der afghanischen Streitkräfte. "Es gibt eine neue Lage", räumt Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan ein. Seit März werde ein Übergang von Sprengstoffanschlägen "auf eher militär-ähnliche Verhaltensweisen" beobachtet. "Es war jetzt einfach an der Zeit, diese Eskalation vorzunehmen", sagt der General. Und sein Chef, der Verteidigungsminister, verkündet: "In der ganz konkreten Kampfsituationen müssen wir unseren Mann stehen."

Die Zeit sahen die Planer offenkundig auch deshalb für gekommen, weil ein Termin naht: Am 20. August wird in Afghanistan der Präsident gewählt. "Es ist unsere Aufgabe, dazu beizutragen, dass diese Wahl ordnungsgemäß durchgeführt werden kann", betont Schneiderhan.

Die Lage ist ernst

Das gelte auch für den Raum Kundus. Nach seinen Angaben sind an der Offensive 300 Soldaten der Bundeswehr beteiligt sowie 800 afghanische Soldaten und 100 Polizisten. Den jetzigen Planungen zufolge soll die Operation nach etwa einer Woche abgeschlossen sein.

Die Lage sei ernst, so lautet die etwas widersprüchliche Botschaft der Bundeswehr, aber nicht dramatisch. Die militärische Überlegenheit liege ganz eindeutig auf Seiten der Internationalen Schutztruppe Isaf, versichert Schneiderhan. Nicht die Bewaffnung der Taliban habe sich in jüngster Zeit verbessert, sie setzten sie nur klüger ein - etwa, indem sie Panzerfäuste von zwei Seiten gegen Fahrzeuge der Bundeswehr abfeuerten.

Auch in der Tatsache, dass sich die Bundeswehr nun zum Einsatz von Marder-Panzern und Mörsern genötigt sieht, will der General keine neue Qualität erkennen. Die Ausrüstung sei schon länger verfügbar, über ihren Einsatz hätten die örtlichen Befehlshaber zu entscheiden. "Unser Problem ist nicht die Feuerüberlegenheit, unser Problem ist die Aufklärung", erklärt der General. Die auf eine Woche angelegte Operation soll nun helfen, die Gegend um Kundus bis zur Präsidentenwahl in den Griff zu bekommen.

Klar aber ist mittlerweile: Deutsche Soldaten sind in der Umgebung von Kundus beteiligt an einer groß angelegten Operation gegen die Taliban, bei der erstmals auch Schützenpanzer vom Typ Marder zum Einsatz kommen.

Druck auf die Bundesregierung

Das noch größere Problem, glauben deutsche Sicherheitsbehörden, könnte indes eine ganz andere Wahl darstellen - jene am 27. September in der Bundesrepublik. Sie befürchten, dass durch Anschläge in Deutschland, aber auch auf die Bundeswehr in Afghanistan, Druck auf die Bundesregierung erzeugt werden soll, die Soldaten abzuziehen.

Nach Informationen des Bundesnachrichtendienstes sind in der Umgebung von Kundus Hunderte Taliban gegen die Bundeswehr im Einsatz, unter ihnen Usbeken und vor allem Paschtunen aus dem Süden. Geld und Kämpfer seien angeblich von der Führung der afghanischen Taliban im pakistanischen Quetta in den Norden geschickt worden.

Besonders die Islamische Bewegung Usbekistans und die Islamische Dschihad Union hätten es auf die Bundeswehr abgesehen. Nach BND-Feststellungen werden die Taliban aus pakistanischen Quellen finanziert. Den Zusammenhang mit der Bundestagswahl sieht auch der Verteidigungsminister.

Ziel der Taliban sei, durch Anschläge in Afghanistan öffentlichen Druck auf die Bundesregierung auszuüben. Jungs Appell lautet, die verschärfte Sicherheitslage in Kundus nicht zur "billigen Wahlkampfmunition" zu nutzen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: