Süddeutsche Zeitung

Afghanistan-Mission der USA:Rückzug ohne Plan

Die USA wollen sich aus Afghanistan zurückziehen und machen dabei schwere Fehler: Der Nato-Angriff auf pakistanische Grenzsoldaten lässt sich nicht entschuldigen. Eine Strategie, wie mit Pakistan umgegangen werden soll, ist nicht erkennbar. Auch moderate Afghanen verzweifeln, weil das planlose Vorgehen der USA die Lage in ihrem Land nur verschlimmert.

Stefan Kornelius

Die Afghanistan-Mission ist an einem Punkt angelangt, wo binnen Wochen vernichtet werden kann, was über Jahre hinweg aufgebaut wurde. In dieser Phase des kontrollierten Rückzugs reicht ein Fehler, um große Zerstörung anzurichten. Dieser Fehler ist nun geschehen - die Isaf-Truppe hat bei einem Luftangriff auf ein Lager des pakistanischen Heeres an der Grenze zu Afghanistan mindestens 24 Soldaten getötet. Noch nie in den vergangenen zehn Kriegsjahren sind so viele Soldaten durch die Hand des vermeintlich Verbündeten gestorben.

Friendly fire, nennt sich das im Militär-Jargon, was die Sache verniedlicht und entschuldigen soll. Dabei gibt es diesmal nichts zu entschuldigen, und zwar nicht nur, weil zwischen Pakistan und den USA längst keine freundschaftlichen Beziehungen mehr herrschen. Der Angriff kann also nicht so einfach ignoriert werden. Jenseits aller denkbar schlechten Wirkung auf das Klima zwischen beiden Staaten zeigt der Beschuss, dass Amerika selbst nicht mehr weiß, was es eigentlich will in Afghanistan - und vor allem, wie es am Ende aus dem Einsatz hinauskommen möchte.

Mindestens drei Lager kämpfen in Washington um die richtige Abzugsstrategie: Das eine (mit dem Außenministerium) favorisiert die ausschließlich politische Lösung, das andere die militärische Bezwingung der Taliban (Pentagon), das dritte Lager sucht die richtige Kombination aus Militär und Politik. Wo genau der Präsident steht ist unklar, das Weiße Haus wabert. In Afghanistan selbst finden sich Anhänger aller Varianten.

Eine Strategie kann so aber nicht entstehen. Verhandlungen mit den Taliban kommen nicht zustande, Pakistans Sorgen und Bedrohungen lassen sich nicht auffangen, und die moderaten Afghanen verzweifeln, weil die irrlichternde Politik der ausländischen Akteure die komplexe innerafghanische Kräftematrix lediglich verkompliziert. Selbst unter den in Afghanistan aktiven 50 Nationen wächst die Verwirrung, weil der Abzug natürlich koordiniert sein will. Was die USA entscheiden, wirkt sich unmittelbar auf jeden Soldaten von Albanien bis zu den Vereinigten Arabischen Emiraten aus. Deutschland spürt das Problem in aller Härte, weil die Bundeswehr im Norden in überlebenswichtiger Abhängigkeit zu den US-Truppen steht - etwa beim Verwundetentransport.

Das wichtigste Ziel beim Abzug muss sein, Chaos und Anarchie zu vermeiden und dem jungen afghanischen Staatsgebilde möglichst viel Kontrolle über sein Territorium zu erlauben. Anstatt sich auf dieses Ziel zu konzentrieren, verspielen die USA jede Übereinkunft über den Einfluss Pakistans, sie verschenken wertvolle Zeit für Verhandlungen mit den Taliban und sie liefern Futter für all die zweit- und drittrangigen Akteure, die auf eine Chance bei der völligen Neuordnung der afghanischen Verhältnisse hoffen. So werden Begehrlichkeiten geweckt und Unruhe geschürt. Ein Plan ist aber nirgends zu entdecken.

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Quelle:
SZ vom 29.11.2011/fran/olkl
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