Afghanistan:Mehrheit der Deutschen ist für Abzug

Die drei deutschen Soldaten sind beigesetzt, die Awacs-Flüge genehmigt. Doch der Streit um den deutschen Afghanistan-Einsatz geht weiter: Außenminister Steinmeier warnt vor einer "kopflosen" Debatte, die Union ist gespalten - in der Bevölkerung zeigt sich derweil eine eindeutige Stimmung.

Auch nach dem klaren Bundestagsvotum für eine Ausweitung des Afghanistan-Einsatzes geht die Debatte über einen Abzug deutscher Soldaten weiter. In der Bevölkerung wächst laut einer Umfrage der Unmut: Dem ARD-Deutschlandtrend zufolge ist der Einsatz unpopulärer denn je. 69 Prozent der Befragten sagten, die Soldaten sollten so schnell wie möglich abgezogen werden. 58 Prozent sind der Meinung, dass die Bundeswehr am Hindukusch im Krieg ist.

Bundeswehr in Afghanistan, AP

Bleiben oder abziehen? Der Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan spaltet weiter Politiker und Wähler.

(Foto: Foto: AP)

Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) lehnt Diskussionen über einen möglichen Abzugstermin der Bundeswehr indes ab. Der Einsatz deutscher Soldaten in dem Land am Hindukusch folge keinem Selbstzweck, sagte er am Morgen im Deutschlandradio Kultur.

Steinmeier: "Auf uns wird geschaut"

Die Afghanen müssten in der Lage sein, für ihre eigene Sicherheit zu sorgen. Die Bundeswehr könne erst zurückgezogen werden, wenn dieses Ziel erreicht sei. Steinmeier erklärte wörtlich: "Aber jetzt eine kopflose Ausstiegsdiskussion, eine Exitdiskussion zu führen, halte ich nicht für verantwortlich für ein Land, das in einer internationalen Verantwortung steht und nicht irgendwer ist. Auf uns wird geschaut."

In Gesprächen habe er erfahren, dass sich die Soldaten ihrer Aufgabe sehr bewusst seien, fügte der Vizekanzler hinzu: "Ich wünschte mir manchmal, dass wir die Diskussion in Afghanistan mit derselben Ernsthaftigkeit auch hier zu Hause führen."

In der Union gehen die Meinungen über Afghanistan auseinander. Der CSU-Politiker Hans-Peter Uhl sprach sich für einen Strategiewechsel aus, während Bundeskanzlerin Angela Merkel und Verteidigungsminister Franz Josef Jung die aktuellen Entscheidungen für den Einsatz der Awacs-Flüge ausdrücklich begrüßten.

"Es ist an der Zeit, die Priorität des Afghanistan-Einsatzes vom Militär zur Polizei zu verlagern", sagte der Unions-Sicherheitsexperte Uhl der Neuen Osnabrücker Zeitung. Ziel müsse ein baldiger Abzug der Bundeswehr sein, möglichst innerhalb der nächsten Jahre. Uhl forderte, die Zahl der deutschen Polizeiausbilder am Hindukusch kurzfristig zu verdoppeln. Um die zivile Sicherheit in Afghanistan nachhaltig zu verbessern, sei die Schulung von "mindestens 4000 afghanischen Polizisten pro Jahr" nötig.

Merkel: "Vor dieser Aufgabe nicht weglaufen"

Merkel hatte sich zuvor erneut entschieden hinter den Afghanistan-Einsatz gestellt. "Wir sind mit Einverständnis der afghanischen Regierung in Afghanistan, und wir werden vor dieser Aufgabe nicht weglaufen, sondern wir werden sie Stück für Stück erfüllen", betonte Merkel am Donnerstag im Bundestag. Der Einsatz sei gefährlich, aber ohne Alternative.

Verteidigungsminister Jung sagte, er freue sich über das Votum des Parlaments. Die Awacs-Flugzeuge seien "dringend erforderlich". Der Bundestag hatte am Donnerstagabend mit breiter Mehrheit der deutschen Beteiligung an Awacs-Aufklärungsflügen der Nato zugestimmt. Die Linke beklagte hingegen, der Einsatz bedeute eine militärische Eskalation.

Bis zu 300 deutsche Soldaten sollen an der Überwachung des afghanischen Luftraums mitwirken, ihr Einsatz ist bis zum 13. Dezember befristet. Derzeit sind rund 3700 deutsche Soldaten am Hindukusch im Einsatz. Erst im vorigen Oktober war die Obergrenze für die Beteiligung an der internationalen Afghanistan-Schutztruppe Isaf auf 4500 aufgestockt worden.

Jung bei Trauerfeier für Bundeswehrsoldaten

Ebenfalls am Donnerstag sind im thüringischen Bad Salzungen drei junge Bundeswehrsoldaten beigesetzt worden, die bei einem Feuergefecht mit den radikalislamischen Taliban in Nordafghanistan ums Leben gekommen waren.

Bei der Trauerfeier in Bad Salzungen (Wartburgkreis) kündigte Verteidigungsminister Jung an, die Bundeswehr werde sich den "Handlangern des Terrorismus" weiter entschieden in den Weg stellen. Das sei sie den Toten schuldig. Die Angreifer wollten die öffentliche Meinung in Deutschland beeinflussen und einen Abzug der Bundeswehr erzwingen. "Das wird ihnen nicht gelingen", betonte Jung.

US-Soldat als Geisel

Im Süden Afghanistans begann die US-Armee unterdessen ihre größte Offensive seit dem Amtsantritt von Präsident Barack Obama. Zugleich wurde bekannt, dass die Taliban einen US-Soldaten als Geisel festhalten. Der Soldat sei während einer Patrouille in der südöstlichen Provinz Paktika verschleppt worden, sagte der ranghohe Taliban-Kommandeur Mullah Sangin. Die Geisel werde nur im Austausch gegen von den USA gefangengehaltene Taliban-Kämpfer freikommen. Die US-Armee bestätigte die Angaben. Der Soldat werde seit Dienstag vermisst.

Die Großoffensive hat bereits erste Opfer gefordert: Ein US-Marineinfanterist sei getötet und mehrere andere seien verwundet worden, teilten die amerikanischen Streitkräfte in der Nacht mit. Zu möglichen Opfern unter den Taliban machte die US-Armee keine Angaben. Sie betonte jedoch, es lägen keine bestätigten Berichte über Opfer unter der Zivilbevölkerung vor.

Nach Angaben des britischen Verteidigungsministeriums vom Donnerstagabend starben in Helmand durch eine Bombe ein Oberstleutnant und ein Soldat. Sechs Briten wurden verletzt. Seit dem Beginn des Einsatzes in Afghanistan 2001 starben damit 171 Briten. Der Oberstleutnant sei der ranghöchste britische Offizier, der bei einem Militäreinsatz seit dem Falklandkrieg 1982 ums Leben gekommen sei, hieß es.

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