Süddeutsche Zeitung

Afghanistan-Einsatz:Kommt nach dem Versagen das Vertuschen?

Der schnelle Fall von Kabul wurde nicht vorhergesehen, die Evakuierung von Ortskräften kam zu spät - die Opposition wirft der Regierung schwere Fehler vor. Die wehrt ab. Mit einer Ausnahme.

Von Daniel Brössler, Berlin

Mehr als drei Wochen nach dem Fall von Kabul haben sich viele Fragen angesammelt. Bei einer ganzen Reihe hätte die Opposition nun endlich gerne Auskunft von der Bundesregierung. Im Kern geht es darum, wer wann was wusste und daher mit der schnellen Übernahme von Kabul durch die Taliban hätte rechnen müssen. Alle zuständigen Minister hätten "hier Rede und Antwort zu stehen, um mit dem Parlament über ihre Fehleinschätzungen zu sprechen und das Desaster, was verursacht wurde", verlangt Britta Haßelmann, die Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, deshalb am Dienstag zu Beginn der voraussichtlich letzten Sitzung des Bundestages vor der Bundestagswahl. Ohne Erfolg. Union und SPD lehnen es ab, das Thema außerplanmäßig auf die Tagesordnung zu setzen.

Zumindest eine Frage wird dann doch beantwortet. "Ist es richtig, dass das Bundesverteidigungsministerium ein Löschmoratorium erlassen hat?", will Linken-Geschäftsführer Jan Korte von der auf der Regierungsbank sitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) wissen. Sie könne das ja durch Nicken beantworten. Und tatsächlich: Die Ministerin nickt. Damit bestätigt sie, dass zumindest sie der Forderung der Grünen nachgegeben hat, die Löschung aller Daten, Akten und Vermerke rund um die verschleppte Evakuierung von Ortskräften aus Afghanistan zu unterbinden.

Was wiederum die Frage aufwirft, wieso im Auswärtigen Amt und im Innenministerium nicht ähnlich verfahren wird. Das sei "doch hanebüchen", meint Korte. "Haben Sie etwas zu vertuschen?", will er wissen. Ein Vorwurf, den die in dieser Frage noch einmal vereinte große Koalition zurückweist. "Die Rechtsgrundlagen für die Aktenführung in Bundesministerien sind klar und werden durch Anträge auch nicht besser oder klarer", wiegelt der SPD-Außenpolitiker Nils Schmid ab. Man gehe "selbstverständlich davon aus, dass die Bundesregierung und die Bundesministerien sich an geltendes Recht und Gesetz halten". Als "fehl am Platze" weist Union-Fraktionsgeschäftsführer Michael Grosse-Brömer einen "Generalverdacht gegen Behörden, Ministerien und die Bundeswehr" zurück.

"So sieht Regierungsversagen aus"

Der Verdacht der Opposition konzentriert sich sehr konkret auf den Umgang mit einem geheimen Drahtbericht der deutschen Botschafterin in Washington, Emiliy Haber. Darin soll sie nach Gesprächen mit hochrangigen Regierungs- und Geheimdienstvertretern vor einem schnellen Fall von Kabul gewarnt haben. Nach einem Bericht des Spiegel zitierte Haber etwa einen hochrangingen CIA-Mann mit der Befürchtung, die afghanische Armee und die Regierung könne schon während der letzten Phase des Nato-Abzugs vom Hindukusch zusammenbrechen. Die grundsätzliche Entscheidung zur Evakuierung der Botschaft in Kabul fiel dennoch erst am 13. August, zwei Tage vor dem Sieg der Taliban.

"Warum hat die Bundesregierung diese Warnung nicht beachtet?", will der Vize-Fraktionschef der FDP, Alexander Graf Lambsdorff, nun wissen und gibt - aus seiner Sicht - auch gleich die Antwort: "So sieht Regierungsversagen aus." Schon am Montag war Außenminister Heiko Maas (SPD) wegen des Drahtberichts im Auswärtigen Ausschuss unter Druck geraten, weil er etwa die Frage nicht beantworten konnte, zu welchem Zeitpunkt das Dokument auf seinem Schreibtisch gelandet war. Maas verwahrte sich allerdings dagegen, einen einzelnen Drahtbericht überzubewerten. Die Hinweise dort seien zusammen mit vielen anderen eingeflossen in die Entscheidungsfindung.

Nach dem Willen der Opposition soll in der nächsten Legislaturperiode ein Untersuchungsausschuss eben jener Entscheidungsfindung auf den Grund gehen. "Wir sind uns mit der FDP einig: Der Untersuchungsausschuss muss kommen, egal wer regiert", sagt der Grünen-Außenpolitiker Omid Nouripour. "Der Untersuchungsausschuss muss kommen, der Untersuchungsausschuss wird kommen", versichert auch sein FDP-Kollege Bijan Djir-Sarai.

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