Afghanistan:Krieg und Friedensworte

Angriffe der Taliban auf mehrere Städte überschatten die Verhandlungen mit den USA.

Von Andrea Bachstein

Während die Taliban in Afghanistan am Wochenende massive Angriffe geführt haben, stehen offenbar die Gespräche der USA mit den Radikalislamisten kurz vor einem Abschluss. "Wir stehen an der Schwelle eines Abkommens", teilte der US-Chefunterhändler Zalmay Khalilzad am Sonntag über Twitter mit. Das Abkommen solle die Gewalt im Land reduzieren und den Afghanen die Möglichkeit geben, gemeinsam über einen "ehrenwerten und nachhaltigen Frieden und ein einheitliches, souveränes Afghanistan zu verhandeln", das keine anderen Länder bedrohe, so Khalilzad nach der neunten Runde der in Doha geführten Gespräche. Er wolle nach einem Abkommen zunächst noch 8600 amerikanische Soldaten in Afghanistan belassen, hatte US-Präsident Donald Trump vergangene Woche gesagt. Die Taliban kontrollieren rund die Hälfte Afghanistans und sind so stark wie seit 2001 nicht mehr, als sie durch die US-Invasion gestürzt wurden.

Ein Taliban-Sprecher Suhail Schahin, schrieb auf Twitter, man stehe kurz vor dem "Ende der Besatzung"

Sie haben nach schweren Attacken auf Kundus am Samstag in der Nacht zum Sonntag eine weitere Stadt angegriffen. Im Lauf des Tages hielten die Gefechte in der Provinzhauptstadt Pul-i-Khumri an, sagte der Polizeichef der Provinz Baghlan der Agentur AP. Wie viele Menschen bei den Kämpfen umgekommen sind, war zunächst nicht bekannt. "Die Taliban sind in Wohngebieten und kämpfen mit afghanischen Sicherheitskräften", berichtete Safdar Mohsini, der Chef des Provinzrats. "Wir brauchen Verstärkung, die so bald wie möglich eintrifft, sonst wird die Lage sich von schlecht zu schlechter entwickeln". Ein anderer Provinzrat sagte am Sonntag, an einem Kontrollposten kämpften 30 bis 40 Polizisten gegen den Taliban-Ansturm. Sollte die Regierung in Kabul nicht handeln, erwarte er eine "Katastrophe". Pul-i-Khumri liegt ungefähr 230 Kilometer nördlich von Kabul und hat 220 000 Einwohner.

Am Vortag hatten mehrere Hundert Taliban Kundus im Norden angegriffen, eine der größten Städte Afghanistans. Dabei wurden mindestens 25 Menschen getötet und mindestens 85 verletzt, 58 Taliban-Kämpfer kamen laut Innenministerium um. Der Großangriff der Extremisten sei aber zurückgeschlagen worden, sagte Afghanistans Verteidigungsminister Asadullah Khalid. Während die Gefechte in vielen Teilen der Stadt im Gange waren, zündete an einer Straßenkreuzung von Kundus zudem ein Selbstmordattentäter Sprengstoff, den er am Körper trug. Bei der Explosion wurde der Polizeichef der Stadt verwundet, Sicherheitskräfte und Journalisten seien getötet worden. Ein örtlicher Fernsehsender meldete, mindestens zehn Menschen seien umgekommen. Per Twitter beanspruchten die Taliban auch diesen Anschlag für sich.

Bei den Kämpfen in der Nacht zum Samstag hatten die Taliban vorübergehend mehrere Einrichtungen und Gebiete in der Stadt eingenommen, darunter das Provinzkrankenhaus, die Elektrizitätszentrale und einen Polizeibezirk. Später hatten sie sich in Häusern verschanzt und Gefechte mit Sicherheitskräften geliefert. Der Abgeordnete Allah Nasar Turkmani aus Kundus sagte am Sonntag nach dpa-Berichten, die Taliban hätten sich über Nacht zurückgezogen. Es gebe keine Kämpfe mehr, Geschäfte seien wieder geöffnet. Nahe Kundus sind rund 80 Bundeswehrsoldaten als Berater stationiert. Wie das Einsatzführungskommando in Potsdam mitteilte, wurde auch das Bundeswehr-Lager Pamir beschossen, aber niemand verletzt.

Es wird davon ausgegangen, dass die Taliban mit den Angriffen ihre Verhandlungsposition gegenüber den USA stärken wollen. Der amerikanische Unterhändler Khalilzad teilte mit, er werde nach Kabul reisen, um in der afghanischen Hauptstadt die Regierung über die Gespräche zu unterrichten. Auch ein Taliban-Sprecher in Doha schrieb auf Twitter, man stehe kurz vor dem "Ende der Besatzung" und vor einer friedlichen Lösung.

Die Gespräche der USA mit Taliban-Vertretern begannen im Juli 2018, sie drehen sich um Truppenabzüge und Garantien der Taliban, Afghanistan nicht zu einem Rückzugsgebiet für Terroristen zu machen. Die Verhandlungen sollen innerafghanische Friedensgespräche ermöglichen, um den 18 Jahre dauernden Konflikt mit den Taliban zu lösen. Bisher haben sich diese geweigert, direkt mit der Regierung in Kabul zu sprechen, sie betrachten sie als Marionette des Westens. Die Radikalislamisten fordern den kompletten Abzug aller ausländischen Soldaten. Nach dem offiziellen Ende ihrer Kampfmission 2014 sind noch rund 20 000 Soldaten der USA und anderer Nato-Staaten in Afghanistan. Dort sollen am 28. September Präsidentschaftswahlen stattfinden.

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