Afghanistan-Konferenz:Manöver zwischen zwei Mächten

Kirgistan plant die Schließung eines US-Stützpunkts - und will sich so die Unterstützung Russlands sichern

Sonja Zekri

Die Zukunft Afghanistans hängt entscheidend von einem zentralasiatischen Land ab, das nicht mal einen international eindeutigen Namen hat: Kirgistan, Kirgisien oder - wie das Auswärtige Amt radebrecht - Kirgisistan.

Afghanistan-Konferenz: US-Soldaten warten in einer Transportmaschine auf den Abflug vom Stützpunkt Manas nach Afghanistan.

US-Soldaten warten in einer Transportmaschine auf den Abflug vom Stützpunkt Manas nach Afghanistan.

(Foto: Foto: Reuters)

Kirgistan liegt 2000 Kilometer vom nächsten Meer entfernt, aber nur 200 Kilometer von der afghanischen Grenze. In der Hauptstadt Bischkek, direkt neben dem Flughafen, befindet sich der US-Luftwaffenstützpunkt Manas, eingerichtet kurz nach dem 11. September 2001. Über Manas fliegen alle US-Truppen nach Afghanistan - jene 35.000 Soldaten, die bis jetzt dort stationiert sind, und die 17.000, die Präsident Barack Obama noch schicken will. Via Manas schicken auch gut ein Dutzend andere Länder Truppen an den Hindukusch. Bis jetzt.

Zwei Wochen nach dem Amtsantritt Obamas hatte der kirgisische Präsident Kurmanbek Bakijew in Moskau erklärt, Manas müsse schließen. Das Parlament ratifizierte die Entscheidung umgehend. Kabai Karabekow, Vize-Vorsitzender des Auswärtigen Parlamentskomitees, hatte 2001 für den Einzug der Amerikaner gestimmt - nun stimmte er für ihren Rauswurf. Anwohner beschwerten sich über den Fluglärm, sagt er; zudem verderbe der Kerosin-Fallout die Ernte - als landeten auf dem Flugplatz nur US-Maschinen. In Bischkek hört man, dass der US-Stützpunkt wenigstens Arbeitsplätze schaffe, aber Karabekow bleibt hart: "Einen neuen Vertrag über eine Militärbasis wird es nicht geben."

Wenn das mal stimmt. Zwar müssen die Amerikaner offiziell bis August abziehen, aber selbst ein ehemaliger Minister sagt: "Ich wäre nicht erstaunt, wenn sie im Oktober immer noch da sind." Unter Diplomaten heißt es, die Amerikaner sähen ihre Chancen bei 50 Prozent und verhandelten verbissen. Es gehe um Details, vor allem aber um Geld. 17 Millionen Dollar pro Jahr zahlt Washington Bischkek. Mehr als zwei Milliarden Dollar Finanzhilfe aber hat der Kreml Kirgistan versprochen - am selben Tag, als Präsident Bakijew das Ende von Manas ankündigte. Moskau habe Bakijew jahrelang bedrängt, die Amerikaner aus der russischen Einflusssphäre zu vertreiben, sagen Beobachter. "Der künftige Preis für Manas wird nicht in Bischkek verhandelt, sondern in Moskau", vermutet der Politologe Valentin Bogatyrjow.

Kleine Staaten brauchen große Freunde

"Kleine Staaten brauchen große Freunde", hatte Ex-Präsident Askar Akajew gesagt - und sein Land zwischen die Giganten Russland, China, Iran und Amerika manövriert. Akajews Nachfolger Bakijew habe diese "Multivektorenpolitik" aufgegeben, heißt es nun - und die Souveränität des Staates gleich mit.

Ohnehin hatte sich die russische Armee kurz nach der Eröffnung von Manas ein paar Kilometer entfernt selbst eingeladen, sodass Kirgistan heute das einzige Land der Welt mit einem amerikanischen und einem russischen Militärstützpunkt ist. Theoretisch sind für die USA auch Nachschub-Routen über Nachbarstaaten denkbar. Das kasachische Parlament ratifizierte eilig zwei alte Memoranden, um die Stationierung von US-Streitkräften auf kasachischen Flughäfen zu erlauben. Usbekistan aber beispielsweise hat die Amerikaner nach Kritik an seiner Menschenrechtspolitik vor ein paar Jahren hinausgeworfen. Tadschikistans erbärmliche Infrastruktur ist dem US-Militär kaum gewachsen. Und niemand will es sich mit Moskau verderben.

"Was haben die Amerikaner in Afghanistan überhaupt verloren?", insistiert Karabekow: "Wenn die Afghanen eine Taliban-Regierung wollen, warum sollen wir sie hindern?" Das ist ziemlich kurzsichtig. Der Opium-Boom unter den Taliban hat Kirgistan in ein Konsumentenland verwandelt. 40.000 Abhängige gibt es bereits, schätzt Witalij Orosalijew, der Vize-Chef der Anti-Drogenbehörde, fast nirgendwo ist Heroin so billig: "Im russischen Norilsk kostet ein Kilo 45.000 Dollar, bei uns ab 5000 Dollar." Und Kirgistan ist Transitland. Die Hauptroute führt über Osch nach Russland, zum größten Heroin-Konsumenten der Welt.

Außerdem: Kirgistans Islamisten sind nicht so zahlreich und militant wie jene Usbekistans, aber ihre Zahl wächst. Im benachbarten Tadschikistan seien bereits Taliban gesichtet worden, sagt der Politologe Kadyr Malikow. Die härtere kirgisische Politik gegen heimische Islamisten radikalisiere selbst offiziell gewaltferne Gruppen - die verbotene Hisb-u-Tahrir etwa, die ein supranationales Kalifat anstrebt. Hisb-u-Tahrir ist keine afghanische Schöpfung, ihr Hauptquartier ist in London. Ein Sieg der Taliban aber gäbe der Gruppe Auftrieb.

Was also gewinnt Kirgistan durch den Rauswurf der Amerikaner? Vielleicht endlich Strom. Den Großteil seiner Finanzhilfe von 1,7 Milliarden Dollar hat Moskau als Kredit für den Bau eines großen Wasserkraftwerks versprochen. Kirgistan leidet chronisch unter Stromausfällen, und das neue Werk könnte genug Energie produzieren, um Pakistan, Afghanistan und China zu beliefern - falls Russland je zahlt, was viele bezweifeln. In jedem Fall bekäme Moskau die Hälfte der Anteile des Werks. "Der Kreml sichert sich strategische Objekte in der Region", sagt Martha Brill Olcott vom Carnegie-Zentrum in Washington. Sie sieht Manas als Teil eines komplexen Tauschgeschäfts um Einfluss, aber auch um Sicherheit. Kirgistan ist arm, arbeitslose Heimkehrer aus Russland bevölkern die Straßen. Die Opposition fordert Bakijews Rücktritt. Dieser hat Neuwahlen für Ende Juli ausgerufen. Erste Proteste blieben friedlich. Aber wenn die Lage sich zuspitze, so Olcott, hoffe Bakijew auf Moskau.

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