Afghanistan-Konferenz in Bonn:Kein Frieden ohne Pakistan

Die internationale Gemeinschaft berät, wie es es mit Afghanistan bis zum Abzug der westlichen Truppen weitergehen soll. Hoffnungen, auch die Taliban könnten Vertreter nach Bonn entsenden, haben sich zerschlagen. Denn von Deutschland und Katar initiierte Geheimgespräche der Islamisten mit den USA stocken. Auch Pakistan boykottiert die Konferenz - und begeht damit einen schweren Fehler.

Ahmed Rashid

Pakistan macht einen schweren Fehler, die Bonner Afghanistan-Konferenz zu boykottieren. Der niederschmetternde Tod von 25 Grenzsoldaten durch das Bombardement der US-Luftwaffe hat das Land schockiert.

Pakistan to boycott international conference on Afghanistan

Ein Mann demonstriert in Pakistan gegen das Bombardement von 25 Grenzsoldaten durch die US-Luftwaffe.

(Foto: dpa)

Allerdings geht es in der Reaktion auch stark um pakistanische Innenpolitik: Die zivile Regierung und die Armee lagen wegen des Rücktritts des Botschafters in Washington im Streit. Dabei geht es um die mögliche Verwicklung des Botschafters in ein Memorandum, in dem die USA gebeten wurden, gegen die pakistanischen Generäle vorzugehen.

Nun aber, durch den Tod der Soldaten, bemüht sich die Regierung um den Schulterschluss mit der Armee. Es ist ein Zeichen dieser neuen Einigkeit, dass sie die Teilnahme an der Petersberg-Konferenz abgesagt hat.

Das Treffen der internationalen Gemeinschaft in Bonn soll den Kurs in Afghanistan bis zum Abzug der westlichen Truppen im Jahr 2014 festlegen. Pakistan ist essentieller Teil dieses Prozesses. Das Land muss also in Bonn dabei sein.

Bereits jetzt schon ist Pakistan in der Region und unter seinen Verbündeten isoliert, ungeachtet der Spannungen mit den USA. Wenn Pakistan sich bei einer derart wichtigen Konferenz selbst zum Schweigen bringt, dann werden die Zweifel über seine Absichten in Afghanistan nur wachsen. Das wird die afghanische Regierung zutiefst beunruhigen, auch weil Pakistan damit signalisiert, dass es seine eigene Lösung für Afghanistan anstrebt, anstatt mit der Weltgemeinschaft zu kooperieren.

Petersberg II wird die Selbstverpflichtung der internationalen Gemeinschaft bekräftigen, Afghanistan auch nach 2014 zu helfen, wenn die meisten westlichen Truppen abgezogen sein werden. Dies ist umso nötiger, als immer mehr Afghanen befürchten, dass Recht und Ordnung in ihrem Land nach dem Abzug zusammenbrechen werden. Die Delegierten müssen sich auf dem Petersberg darauf einigen, die Probleme anzupacken, die die westliche Allianz in Afghanistan zurücklässt und der Regierung in Kabul helfen, Lösungen dafür zu entwickeln.

Verhandlungen in Katar

Es gibt noch Hoffnung, dass in Bonn ein Durchbruch verkündet werden kann: Dass sich die Taliban, die USA, Katar und Deutschland darauf einigen, ein Büro der Taliban in der katarischen Hauptstadt Doha zu eröffnen. Dies würde erlauben, die Gespräche zwischen allen Seiten in einer kontinuierlicheren Weise fortzusetzen. Allerdings wird das maßgeblich davon abhängen, ob sich die Amerikaner untereinander darauf einigen können, denn die Regierung ist in sich tief zerstritten, ob Gespräche mit den Taliban geführt werden sollen.

Afghanistan-Konferenz in Bonn: Ahmed Rashid, 63, ist Autor zahlreicher Bücher über Afghanistan und die Taliban. Er gründete einen Fonds zur Förderung unabhängiger Medien in Afghanistan.

Ahmed Rashid, 63, ist Autor zahlreicher Bücher über Afghanistan und die Taliban. Er gründete einen Fonds zur Förderung unabhängiger Medien in Afghanistan.

(Foto: AFP)

Frühere Hoffnungen, die Taliban könnten eigene Vertreter nach Bonn entsenden, haben sich zerschlagen, weil es in den Geheimgesprächen keine Fortschritte gab und am 20. September der Friedensbefürworter und Chef des Hohen Friedensrats, Burhanuddin Rabbani, ermordet wurde. Gut informierte Quellen sagen, die früher im Jahr begonnenen Geheimgespräche zwischen den USA und den Taliban unter Vermittlung Deutschlands und Katars seien auch nach der Ermordung fortgesetzt worden.

Veränderungen müssen friedlich herbeigeführt werden

Die 90 angereisten Nationen werden zweifelsohne versprechen, die wirtschaftliche Hilfe, die Ausbildung der Sicherheitskräfte und die Unterstützung der Regierung auch nach dem Abzug 2014 fortzusetzen. Afghanische Funktionäre fragen sich allerdings, ob der Westen angesichts der eignen Wirtschaftsprobleme Wort halten wird.

Dazu kommt, dass die internationale Gemeinschaft zu ihrem eigenen Risiko derzeit einige der Probleme ignoriert. Erstens droht die Wirtschaft in Afghanistan nach Abzug der westlichen Truppen zusammenzubrechen. Zehntausende junge Afghanen, die bei westlichen Militärstützpunkten und Botschaften Arbeit gefunden haben, werden arbeitslos zurückbleiben - genau jene Generation, die der Westen im vergangenen Jahrzehnt ausgebildet hat.

90 Prozent des 17 Milliarden US-Dollar umfassenden afghanischen Haushalts finanziert das Ausland. Fünf bis sechs Milliarden US-Dollar sind alleine nötig, um die afghanische Armee zu unterhalten. Der Westen hat versprochen, all dies auch künftig zu finanzieren, es fehlen Garantien. Die afghanische Wirtschaft alleine kann die Versorgung der Bevölkerung nicht aufrechterhalten.

Außerdem gibt es viele innere Probleme, vor denen die Afghanen stehen. Es gibt Spannungen zwischen den Paschtunen und den anderen ethnischen Gruppen. Viele Nichtpaschtunen zögern, eine Aussöhnung mit den Taliban zu akzeptieren. Zudem gibt es weiter Unsicherheit über den Friedensprozess und die künftige afghanische Verfassung.

2014 soll zudem der nächste Präsident gewählt werden; auch wenn Hamid Karsai nicht noch einmal kandidieren darf und das Feld für alle offen ist, gibt es zunehmend Forderungen, die Verfassung zu ändern und das Präsidialsystem durch ein parlamentarisches zu ersetzen. Es gibt zudem Forderungen, die hochzentralisierten Befugnisse der Regierung in der Hauptstadt teilweise den Provinzen zu übertragen und so zu Dezentralisierung und Regionalisierung zu kommen.

Sollte in Friedensgesprächen eine Waffenruhe mit den Taliban erreicht werden und es ernsthafte Verhandlungen über eine Teilung der Macht mit ihnen geben, werden auch die Taliban die Verfassung ändern wollen. Alle Teile der afghanischen Gesellschaft verlangen politische Veränderungen in den kommenden zwei Jahren, doch weder die Regierung noch die internationale Gemeinschaft sind darauf vorbereitet.

Solche Veränderungen müssen friedlich herbeigeführt, nicht mit Waffengewalt durchgesetzt werden. Schließlich gibt es noch ein regionales Problem: die Nachbarstaaten, von denen sich einige ständig einmischen, darunter Pakistan, Iran und Indien. Eine Konferenz im November in Istanbul sollte die regionalen Spannungen verringern. Tatsächlich ist das Gegenteil passiert, weil in Istanbul erst richtig klar wurde, wie tief die Gräben zwischen den Ländern sind.

Der Schlüssel liegt in Pakistan

Pakistan, das den Großteil der Taliban-Führung beherbergt, ist der Schlüssel zu jedem Ausgleich. Wenn das pakistanische Militär nicht mit den Afghanen und der internationalen Gemeinschaft kooperiert, wenn es nicht flexibler agiert als bislang, wenn sich die immer schlechter werdenden Beziehungen zwischen den USA und Pakistan nicht verbessern, dann wird jeder Fortschritt hin zu einer Friedenslösung blockiert, ebenso wie zu einer Verbesserung der Beziehungen zwischen Afghanistan und Pakistan.

Der pakistanische Journalist Ahmed Rashid, 63, ist Autor zahlreicher Bücher über Afghanistan und die Taliban. Er gründete einen Fonds zur Förderung unabhängiger Medien in Afghanistan.

An English version of Ahmed Rashid's article is available at www.sueddeutsche.de/rashid.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: