Afghanistan:Kein Frieden ohne die Nachbarn

Die neue Offensive in Afghanistan wirft auch ein Schlaglicht auf die Interessen Indiens und Pakistans.

Tobias Matern

Nicht nur Amerikaner, Briten und Deutsche sind beim Thema Afghanistan längst kriegsmüde. Gerade die Afghanen selbst verabscheuen nichts mehr als ein Leben in permanenter Angst. Ihre Hoffnungen, der Westen werde nach Jahrzehnten blutiger Auseinandersetzungen Frieden bringen, haben sich bisher nicht erfüllt. Viele Chancen hat die Staatengemeinschaft nicht mehr, etliche Afghanen fühlen sich nicht nur von den Taliban, sondern auch von den ausländischen Soldaten bedroht. Das klingt simpel, spiegelt aber einen wesentlichen Teil der Lebensrealität in Afghanistan wider.

Afghanistan: Ein pakistanischer Soldat vor einem Nato-Tankwagen, den Extremisten am 1. Februar nahe Peschawar zerstörten. Für dauerhafte Stabilität in der Region müssen Afghanistans Nachbarn Indien und Pakistan mit eingebunden werden.

Ein pakistanischer Soldat vor einem Nato-Tankwagen, den Extremisten am 1. Februar nahe Peschawar zerstörten. Für dauerhafte Stabilität in der Region müssen Afghanistans Nachbarn Indien und Pakistan mit eingebunden werden.

(Foto: Foto: AFP)

Nun hat die Nato mit der afghanischen Armee die Operation "Gemeinsam" begonnen. Es ist die größte Offensive seit 2001. Die Aktion der Allianz belegt die Macht der Islamisten. Sie weisen westliche Angebote, an den Verhandlungstisch zu kommen, aus einer Position der Stärke heraus höhnisch zurück. Die Nato will sie nun mit Gewalt dazu zwingen. Der Erfolg ist ungewiss, er lässt sich keineswegs am bisherigen Verlauf der Kämpfe messen.

Die Aufständischen mit militärischen Mitteln aus einer Provinz zunächst zu vertreiben, ist kein großes Problem. Die Region zu sichern, Ansätze staatlicher Strukturen und wirtschaftliche Perspektiven jenseits des Drogenhandels zu schaffen - das ist die größere Herausforderung. Schon 2009 gab es in Südafghanistan eine Großoffensive. Einen langfristigen Effekt hatte sie nicht. Die Nato will die Region dieses Mal nicht nur "säubern und halten", wie es im Militärjargon heißt, sondern auch aufbauen. Sie wird sich daran messen lassen müssen.

Die neue Offensive entscheidet das Schicksal Afghanistans genauso wenig wie die jüngste Konferenz in London. Ein größerer strategischer Ansatz ist überfällig - und dieser muss mehr als bisher auch die gesamte Region berücksichtigen. Mehr denn je ringen die Nachbarn Afghanistans um Einfluss und Macht in Kabul, vor allem seit von Washington bis Berlin immer häufiger über den Abzug der Truppen gesprochen wird.

Spielball fremder Nationen

Es geht Indien oder Pakistan, die für die Stabilität Afghanistans entscheidend sind, nicht um Offensiven wie in Helmand, sondern um den Tag X, wenn die westlichen Truppen den Hindukusch verlassen haben. "Pakistan 1, Indien 0", schreibt eine seriöse Zeitung in Delhi - und meint damit Islamabads jüngsten Coup, sich im Westen als Vermittler für Gespräche mit den Taliban anzubieten. Die Wortwahl veranschaulicht die regionale Perspektive: Das Great Game, das große Spiel, ist eröffnet. Wieder einmal.

Das ist keine Aussicht, die Mut macht. Afghanistan war in seiner wechselvollen Geschichte schon oft Spielball anderer Nationen. Russland und das britische Empire machten im 19. Jahrhundert daraus eine Pufferzone samt kolonialer Grenzziehung, die viele der heutigen Probleme verursacht hat. Die Amerikaner investierten in den achtziger Jahren massiv in die Mudschaheddin, um dem sowjetischen Erzfeind zu schaden. Die mit Stinger-Raketen hochgerüsteten Kämpfer fügten der Roten Armee eine schmachvolle Niederlage zu; 1989 verließ die Sowjetunion Afghanistan. Danach stürzte das Land ins Chaos, das die Taliban schließlich an die Macht brachte.

Nun ist das Land erneut auf dem Weg, als Schauplatz für eine Fehde anderer herhalten zu müssen: Indien fürchtet sich vor einer Beteiligung der Taliban an der Macht in Kabul, fühlt sich vor den Kopf gestoßen, weil der Westen nun mit den Islamisten verhandeln will. Pakistan hingegen sieht aufgrund enger Bande zu den afghanischen Taliban seine Chance gekommen, in Kabul einen Machtfaktor zu installieren, der Islamabads Wünschen folgt, wenn die Nato nicht mehr präsent sein wird.

Afghanistan kann nicht nur von innen heraus befriedet werden. Stabilität wird das Land erst gewinnen, wenn es eine übergreifende regionale Lösung gibt. Der Westen sollte sich darum bemühen, auch die verfeindeten Nachbarn auszubalancieren.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: