Süddeutsche Zeitung

Afghanistan:Karsai, die Nato und der falsche Mullah

Afghanistans Präsident und der Westen führten mit einem Hochstapler Friedensgespräche. Die Anekdote ist ein Beleg dafür, wie übertrieben die Berichte über Verhandlungen mit den Taliban sind.

T. Matern

Der Feind hatte angeblich einen der Großen geschickt. Er soll im Flugzeug der Nato nach Kabul gebracht worden sein und mit Präsident Hamid Karsai sogar persönlich über die Chancen von Friedensverhandlungen gesprochen haben. Das hörte sich vielversprechend an im Ringen um Friedensgespräche mit den Taliban - bis die neuen Fakten dazwischenkamen.

Mullah Akhtar Mohammad Mansour, offenbar einer der höchstrangigen Kommandeure der Taliban, war gar nicht der Mann, für den er sich ausgegeben hatte. So berichtete es die New York Times am Dienstag, und so bestätigte es der US-Oberkommandierende in Afghanistan, General David Petraeus. "Er ist es nicht", zitiert die Zeitung einen westlichen Diplomaten. "Und wir haben ihm eine Menge Geld gegeben." Die Zahlung soll geholfen haben, den "falschen Talib" zu weiteren Treffen zu bewegen.

Wer da nun tatsächlich mehrere Male am Vor-Verhandlungstisch mit afghanischen Offiziellen Platz genommen hat - keiner weiß es so genau. Die Zeitung ließ ihre Leser auch wissen, sie habe vor einigen Wochen dem Wunsch der US-Regierung entsprochen, Mansours Namen nicht zu veröffentlichen, um weder die Gespräche noch sein Leben zu gefährden. Und nun entpuppe sich dieser Mann als "Hochstapler".

Wie es zu der neuen Erkenntnis gekommen ist - das wiederum bleibt ungeklärt. Allerdings zitiert das Blatt einen afghanischen Regierungsvertreter mit den Worten: "Die Taliban sind cleverer als die Amerikaner und unser eigener Geheimdienst. Sie spielen Spiele." Auch wird die Theorie erwähnt, der umstrittene pakistanische Geheimdienst habe seine Finger im Spiel und den Schwindler geschickt. Jedenfalls dementierte Karsai, den Mann jemals getroffen zu haben.

Die Geschichte ist symptomatisch: Sie offenbart vor allem, dass Kabul zwar voller Gerüchte und Geschichten über sich anbahnende Verhandlungen der afghanischen Regierung mit den Taliban ist. Aber niemand kennt den aktuellen Stand. Die Artikel über Treffen der Islamisten mit der Regierung Karsai seien jedenfalls alle übertrieben, sagte der ehemalige Chef der UN-Mission in Afghanistan, Kai Eide, der Süddeutschen Zeitung noch vor Bekanntwerden der NYT-Geschichte. Der Diplomat hatte während seiner aktiven Zeit nach eigenen Angaben bereits Anfang dieses Jahres Gespräche mit Vertretern der Aufständischen geführt, ohne dabei ernsthaft vorangekommen zu sein.

In den vergangenen Tagen und Wochen haben sich immer wieder zahlreiche, namentlich nicht genannte amerikanische und afghanische Regierungsvertreter zu Wort gemeldet, um über die angebliche Kontakt-Anbahnung von Nato und afghanischer Regierung auf der einen und den Taliban auf der anderen Seite Auskunft zu geben. Dafür hatten sie keine stille Diplomatie, sondern die Medien gewählt. Offenbar ist der Wunsch, der kriegsmüden Öffentlichkeit im Westen etwas vermeintlich Positives zu melden, stärker als der Drang, sich zuerst ganz sicher zu sein, mit wem eigentlich genau Kontakte angebahnt werden.

Die New York Times relativiert mit ihrer neuen Geschichte denn auch eine vermeintliche Entwicklung, die sie in den vergangenen Monaten selbst intensiv beschrieben hat. Genau wie in der Washington Post kamen in dem Blatt zahlreiche US-Beamte zu Wort, die ausführlich über den Fortgang der angeblichen Kontakte berichteten. Doch von Seiten der Aufständischen gab es keinerlei Bestätigung für die Treffen. Im Gegenteil: Die Führungsebene der Taliban machte immer wieder öffentlich deutlich, sie lehne Gespräche über ein Ende des Krieges ab, solange westliche Truppen am Hindukusch stationiert seien.

Unabhängige Experten wie der Taliban-Kenner Ahmed Rashid nannten die bisherigen Aktivitäten höchstens "Gespräche über Gespräche". Wie niedrig das Weiße Haus die Treffen offiziell hängt, verdeutlichten die Aussagen des US-Sondergesandten für die Region, Richard Holbrooke. Kontakte zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban sind seiner Meinung nach bisher vor allem eines gewesen: ergebnislos.

Auch der ehemalige UN-Sonderbeauftragte Kai Eide sieht seit seinen Bemühungen Anfang dieses Jahres keine nennenswerten Fortschritte auf dem Weg zu einer Verhandlungslösung. Die ständigen Geschichten in den Zeitungen seien allerdings wenig hilfreich. "So etwas kann nicht über die Medien eingefädelt werden durch die Statements hochrangiger Regierungsvertreter", sagte der norwegische Diplomat, der gerade ein Buch über seine Zeit in Afghanistan veröffentlicht hat. Es sei sinnvoller, "seinen Gegner zu testen und ihm zum Beispiel regionale Waffenstillstände anzubieten". Allerdings spielt aus Eides Sicht die Ankündigung von US-Präsident Barack Obama, im Sommer nächsten Jahres mit dem Abzug der US-Truppen zu beginnen, den Taliban in die Hände. Bei den Islamisten verstärke sich dadurch das Gefühl, die Zeit sei auf ihrer Seite.

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SZ vom 24.11.2010/beu
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