Afghanistan:Herr Minister Taliban

Der afghanische Präsident Ghani hat einen der schwierigsten Jobs der Welt. Nun versucht er, die Taliban in die Regierung einzubinden. Das könnte funktionieren, darf aber nicht auf Kosten der Frauenrechte gehen.

Von Tobias Matern

Er hat einen komplizierten Job. Afghanistans Präsident Aschraf Ghani muss eine multiethnische Regierung zusammenhalten - wenn dieses fragile Gebilde auseinanderbricht, wächst die Gefahr eines Bürgerkriegs. Er muss den Westen bei Laune halten - wenn die Hilfe ausbliebe, müsste Ghani damit rechnen, dass die Taliban zum Sturm auf seinen Palast blasen. Und er muss einer der ärmsten Bevölkerungen der Welt eine Perspektive aufzeigen - wenn die junge afghanische Generation nicht die Flucht nach Europa als einzigen Ausweg aus ihrer Misere verstehen soll.

Und dann ist da noch die alles überragende Aufgabe: Frieden schaffen mit den Taliban. Unermüdlich bemüht sich Ghani, die Islamisten an den Verhandlungstisch zu holen. Er umschmeichelt sie schon lange, macht Angebote und Versprechen. Aber noch nie ist Ghani so weit gegangen wie jetzt, im 17. Jahr des Krieges. Er bietet den Taliban an, als politische Kraft bei Wahlen anzutreten, er offeriert ihnen regelrecht Plätze am Kabinettstisch. Und Ghani ist sogar bereit, ein Kernstück des afghanischen Fortschritts auf den Tisch zu legen: die Verfassung.

Die Taliban zur politischen Kraft aufzuwerten, ist unausweichlich. Als die USA 2001 in Afghanistan einmarschierten, war die Taliban-Regierung zwar binnen Wochen gestürzt, aber die Islamisten konnten sich im Laufe der Zeit neu gruppieren. Militärisch sind sie nicht mehr zu besiegen. Inzwischen kontrollieren sie wieder Teile Afghanistans. Sie werden nicht einfach verschwinden.

In der Verfassung verbriefte Frauenrechte dürfen nicht zur Verhandlungsmasse werden

Ghanis Regierung, in der auch frühere Warlords sitzen, zeigt: Ehemalige Feinde an einem Kabinettstisch erzielen zwar nicht viel Fortschritt im politischen Tagesgeschäft, weil sie sich mehr mit internen Streitigkeiten aufhalten, als sich mit Reformen gegen Korruption zu beschäftigen. Aber immerhin sitzen sie gemeinsam am Kabinettstisch, anstatt ihre Anhänger aufeinanderzuhetzen. Afghanistan könnte, so bitter die Vorstellung ist, in dosierter Form auch mit ein paar Taliban-Ministern leben. Einbindung gegen Frieden, Waffen niederlegen gegen politische Macht - das wäre der Deal. Er wäre besser als der Status quo, in dem täglich Zivilisten und Sicherheitskräfte sterben.

Problematisch ist hingegen Ghanis Angebot, sich mit den Taliban über die Verfassung beugen zu wollen. Die Aufständischen geißeln den Gesetzestext als unislamisch, vor allem wegen Passagen wie in Artikel 22: "Die Bürger Afghanistans, sowohl Frauen als auch Männer, haben vor dem Gesetz gleiche Rechten und Pflichten." Während ihrer Herrschaft haben die Taliban Frauen jahrelang weggesperrt. Zwar ist der Alltag heute nicht so gerecht, wie ihn die Verfassung vorgibt. Doch Millionen afghanische Mädchen gehen zur Schule, Frauen sitzen im Parlament, sie kämpfen gegen das Patriarchat. Diese Errungenschaften als Spielmasse für Verhandlungen zu verwenden, wäre ein drastischer Rückschritt für Afghanistan.

Im Umgang mit den Taliban setzt der Präsident alles auf eine Karte, weil er keine anderen Optionen mehr hat. Das westliche Militär ist nur noch mit wenigen Soldaten präsent. Der negative Einfluss der afghanischen Nachbarn, die das Land zum Spielball ihrer Interessen machen, ist nach wie vor massiv. Ghanis Risikobereitschaft verdient Unterstützung. Aber auch entschiedenen Widerspruch, falls er sich Frieden mit den Taliban im Tausch für Frauenrechte erkaufen will.

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