Afghanistan:Furcht und Hoffnung

Nach 17 Jahren westlicher Besatzung blicken viele Afghanen mit gemischten Gefühlen auf die Verhandlungen der USA mit den Taliban: Gibt es eine Chance auf Frieden - oder geht der Konflikt in die nächste blutige Runde?

Von Tobias Matern, Kabul/München

Verunsichert und hoffnungsvoll, das sind eigentlich zwei Begriffe, die nicht so recht zusammenpassen. Doch in Afghanistan ist das die Gefühlslage vieler Menschen nach 17 Jahren westlicher Besatzung. Sie verfolgen, dass sich US-Diplomaten mit den Taliban in Doha treffen. Sie verfolgen auch, wenn sich die Islamisten, wie am Dienstag in Moskau, mit afghanischen Oppositionellen über die Zukunft des Landes unterhalten. Bei all diesen Treffen nicht dabei: die eigene Regierung - Kabul ist in diesem Prozess nur Zuschauer. "Wir haben Hoffnung, weil wir alle den Krieg leid sind", sagt ein Mann in der afghanischen Hauptstadt, der namentlich nicht genannt werden will. "Aber wir sind auch verunsichert, weil wir nicht wissen, wie ein solcher Frieden aussehen könnte."

Was wird aus den Errungenschaften der vergangenen 17 Jahre? Dürfen Frauen weiter im Parlament sitzen und Mädchen in die Schule gehen? Dürfen Menschenrechtler sich weiter für Meinungsfreiheit einsetzen? Was passiert, falls es zu einem von den USA vermittelten Friedensschluss zwischen den Taliban und der Kabuler Regierung kommt, die Islamisten aber einfach nur abwarten, bis der Westen seine Soldaten abgezogen hat - stürzt das Land dann in den nächsten Bürgerkrieg?

In Afghanistan hat niemand eine Antwort auf diese Fragen. Fest steht nur: Die Taliban werden hofiert. Lange als Terroristen gebrandmarkt, gelten sie nun als Verhandler auf Augenhöhe. Denn der Konflikt ist militärisch nicht mehr zu lösen, die Islamisten sind zu mächtig. Die USA wollen den längsten Kriegseinsatz ihrer Geschichte beenden - und die Afghanen sehnen sich nach nichts mehr als nach Frieden. An Phasen, in denen in ihrem Land keine Kämpfe tobten, erinnert sich nur noch die ältere Generation.

FILE PHOTO: Taliban walk as they celebrate ceasefire in Ghanikhel district of Nangarhar province, Afghanistan

An ihnen kommt derzeit keiner vorbei, der über die Zukunft Afghanistans verhandelt: Taliban-Kämpfer in der Nangarhar-Provinz.

(Foto: Parwiz Parwiz/Reuters)

Mohammad Rafiq Helali ist 70 Jahre alt und Landbesitzer in der westafghanischen Provinz Farah, die an Iran grenzt. Er berichtet von einer Ära "ohne ausländische Einmischung", von einer Zeit in seiner Heimatprovinz, "in der es keine einzige Waffe gab, außer bei den Sicherheitskräften". Das war in den späten Sechziger- und frühen Siebzigerjahren, König Zahir Shah regierte ein liberales Land. Sicherheit, Musik, Frauen in Miniröcken, das war Alltag in Kabul, das zum Sehnsuchtsort für die Hippies aus dem Westen wurde. Wie selbstverständlich spielte sich das Leben im öffentlichen Raum ab. Heute hat Furcht die Lebensfreude vieler Afghanen ersetzt, bangen Eltern um ihre Kinder, wenn sie in die Schule gehen, weil nicht sicher sein können, ob die Jungen und Mädchen einem Anschlag zum Opfer fallen. "Der König hatte die Lage im Griff, alles war sicher", sagt Mohammad Rafiq Helali. Zwar sei die afghanische Wirtschaft schon damals unterentwickelt gewesen, aber sie habe sich langsam voranbewegt: "Wir waren auf dem Weg zu einem modernen Land, alles hat sich Schritt für Schritt zum Besseren gefügt", sagt Helali.

Doch im Jahr 1973 stürzte der Cousin des Königs den Monarchen und rief die Republik aus. Es folgte die Machtübernahme der Kommunisten und, um diese zu unterstützen, der Einmarsch der Roten Armee im Jahr 1979. Die USA gaben den selbsternannten Gotteskriegern im Kampf gegen die Sowjets Geld und Raketen. 1989 zogen die russischen Soldaten gedemütigt ab. Afghanistan war so zersplittert, dass es in den Bürgerkrieg abdriftete, verfeindete Warlords zertrümmerten große Teile Kabuls. Die Taliban kämpften sich Anfang der Neunziger an die Macht, die Leute atmeten auf: endlich Ruhe, nach Jahren des Schreckens. Doch die Taliban errichteten ihrerseits ein Regime der Finsternis, Frauen wurden aus dem öffentlichen Leben verbannt. Sie herrschten, bis nach den Anschlägen vom 11. September 2001 die USA und ihre Verbündeten kamen. Besiegt hat der Westen die Islamisten nicht. Nun sollen sie wieder integriert werden. Die Frage ist nur: Wie soll das funktionieren?

Auf dem Bonner Petersberg wurde kurz nach dem Sturz der Taliban im Jahr 2001 der Ausgleich zwischen den ethnischen Gruppen in Afghanistan begonnen - die Taliban wurden dabei außen vor gelassen. "Nun haben sie die Oberhand gewonnen, und die gegenwärtige politische Fragmentierung und ethnische Polarisierung schadet dem politischen Prozess, der um Ausgleich bemüht ist ", sagt der Kabuler Politik-Analyst Haroun Mir. Er geht davon aus, dass sie an ihrer Linie festhalten werden, nicht mit der Regierung in Kabul zu verhandeln und nicht in das bestehende System integriert werden wollen. In diesem System haben die Amerikaner nach Wahlen wiederholt interveniert und sichergestellt, dass dem Präsidenten, der aus der ethnischen Mehrheit stammt, hochrangige Vertreter andere Volksgruppen an die Seite gestellt werden. Die aktuelle Regierung der nationalen Einheit, die von Staatschef Ashraf Ghani angeführt wird, hat in den vergangenen Jahren zwar Reformen angestoßen, war aber überwiegend durch innenpolitischen Streit gelähmt.

Runder Tisch

Die Taliban wollen eine neue Verfassung für Afghanistan. Das haben Vertreter ihres politischen Büros bei einer am Dienstag in Moskau abgehaltenen Konferenz betont. An dem runden Tisch nahmen auch der afghanische Ex-Präsident Hamid Karsai und afghanische Oppositionspolitiker Platz, allerdings nicht der amtierende Staatschef Ashraf Ghani. Die Taliban weigern sich, mit ihm zu verhandeln. Am Tisch saßen auch einstige Todfeinde der Taliban und forderten von ihnen "Flexibilität", damit es zu Gesprächen mit Ghani kommen könne. Während in Moskau über Wege zu einem Frieden gesprochen wurde, erlebte Afghanistan einen weiteren blutigen Tag. Bei mehren Angriffen und Anschlägen in verschiedenen Provinzen starben nach Angaben der Nachrichtenagentur AP mindestens 47 Menschen. Tobias Matern

Mohammad Rafiq Helali, der 70-jährige Mann aus der Provinz Farah, zieht ein bitteres Fazit der vergangenen Jahre: "Der gefährlicheste Krieg, den wir erlebt haben, ist der von den Amerikanern entfachte." Verfeindete Akteure seien nun an der Regierung beteiligt, die Zahl der zivilen Opfer sei extrem hoch, der Gedanke von Demokratie "missbraucht" worden, findet Helali. Viele Leute seien frustriert von der Führung in Kabul, die wenig für die Afghanen tue und viel mit ihren Querelen beschäftigt sei: "Manche Mitglieder der Regierung unterstützen die Regierung nicht, obwohl sie selbst Teil davon sind", sagt Helali. Die Einheitsregierung habe eine enttäuschende Bilanz vorzuweisen. Daher hätten sich viele Menschen von der Politik abgewandt und sich dem bewaffneten Widerstand angeschlossen. Trotzdem hat Helali die Hoffnung nicht aufgegeben, dass sein Land den Krieg endlich hinter sich lassen kann: "Alle menschliche Hoffnung richtet sich auf ein friedliches Leben", sagt er.

Ein Kabuler Journalist hat diese Geschichte mitrecherchiert. Aus Furcht vor Repressalien durch die Taliban möchte er nicht als Autor genannt werden.

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