Afghanistan:Schier unüberwindbare Barrieren

Afghanistan: 131 Menschen hat die Bundeswehr mit diesem Militärflugzeug im August 2021 nach Taschkent in Usbekistan evakuiert.

131 Menschen hat die Bundeswehr mit diesem Militärflugzeug im August 2021 nach Taschkent in Usbekistan evakuiert.

(Foto: Bundeswehr/Getty Images)

Die Ausreise aus Afghanistan auf legalem Weg ist mit großen Schwierigkeiten verbunden, dafür trägt auch die Bundesregierung Verantwortung.

Von Jan Bielicki

Die Maschine stand schon bereit auf dem Rollfeld des Flughafens München. Sechs afghanische Männer aus deutschen Gefängnissen sollte das Flugzeug am Abend des 3. August vergangenen Jahres zurückbringen in ihr Heimatland.

Der geplante Flug startete nie. Zuerst stoppte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte unter Verweis auf die Sicherheitslage im Zielland die Abschiebung eines Mannes, der bei einem Zwischenstopp in Wien an Bord kommen sollte. Dann, am Tag, an dem das Flugzeug eigentlich in Kabul landen sollte, explodierte dort eine Bombe und tötete 13 Menschen. Daraufhin sagte das Bundesinnenministerium, damals geleitet von Horst Seehofer (CSU), den Flug ab - mit dem Hinweis, er solle "zeitnah nachgeholt werden".

Auch daraus wurde nichts. Denn zeitnah, nur zwölf Tage später, zogen die Taliban in die afghanische Hauptstadt ein. Kurz darauf flogen deutsche Militärtransporter die bislang größte Evakuierungsmission der Bundeswehr und holten 5400 Menschen aus Kabul.

Viel versprochen, wenig umgesetzt

Ein Jahr nach Beendigung dieser Luftbrücke geht es immer noch darum, gefährdete Afghaninnen und Afghanen vor den Taliban in Sicherheit zu bringen. Bedroht sind vor allem die Ortskräfte, die der Bundeswehr während deren Einsatzes am Hindukusch zugearbeitet haben oder bei deutschen Hilfsorganisationen beschäftigt waren, dazu Menschen, die sich für Menschenrechte - ganz besonders von Frauen und Minderheiten - engagiert haben. In Gefahr sind auch ihre Familien.

Etwa 34 000 dieser Menschen hat die Bundesregierung seitdem die Aufnahme in Deutschland zugesagt. Sie dürfen hier leben, ohne Asyl beantragen zu müssen. Es handelt sich um etwa 5100 ehemalige Ortskräfte und 18 500 ihrer engen Familienangehörigen, dazu um 2900 als besonders gefährdet eingestufte Afghaninnen und Afghanen mit mehr als 7000 Angehörigen. Bis Ende Juli sind nach Zählung des Bundesinnenministeriums knapp 22 400 dieser Menschen - davon fast 3800 Ortskräfte und 13 800 ihrer Angehörigen - sicher in Deutschland angekommen.

Nichtregierungsorganisationen halten die Hilfsbemühungen der Bundesregierung jedoch für bei Weitem nicht ausreichend. "Die Ampelkoalition hat viel Gutes versprochen, aber kaum etwas davon umgesetzt", urteilt Günter Burkhardt, der Geschäftsführer der Menschenrechtsorganisation Pro Asyl. Für Kritiker wie ihn ist die Liste der Aufnahmeberechtigten viel zu eng gefasst. So gilt als Ortskraft beispielsweise nur, wer in Afghanistan direkt bei der Bundeswehr oder einer deutschen Organisation beschäftigt war. Subunternehmer und deren Mitarbeiter, wie sie etwa in einem Projekt der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit afghanische Polizisten ausbildeten, stehen nicht auf dieser Liste, obwohl sie ebenso die Rache der Taliban fürchten müssen. Auch gilt: Wer eine Aufnahmezusage hat, darf Frau und Kinder mitnehmen, aber eben nur die Kernfamilie - Onkel und Tanten müssen zurückbleiben.

Frauen dürfen nur in Begleitung eines Mannes ausreisen

Selbst für die, die es unter die Auserwählten geschafft haben, bleibt die Flucht nach Deutschland schwierig. Sie brauchen ein Visum, doch weil die deutsche Botschaft in Kabul geschlossen ist, müssen sie dafür in die Nachbarländer Pakistan oder Iran reisen - wofür ein Reisepass erforderlich ist und das Wohlwollen der Taliban-Grenzwächter. Frauen etwa erlaubt das Regime die Ausreise nicht ohne Begleitung eines männlichen Verwandten.

Anfangs gab es für die Ausgeflogenen noch Visa bei der Ankunft in Deutschland. Doch das Bundesinnenministerium äußerte Sicherheitsbedenken. Denn fällt ein Afghane bei den obligatorischen Hintergrundchecks durch, wenn er schon im Lande ist, kann er nicht mehr abgeschoben werden. Weitere Hürden erwachsen aus dem Kompetenzgerangel deutscher Ämter. Sogar bei der Beschaffung der Scanner für biometrische Daten kabbelten sich die Häuser von Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) und Innenministerin Nancy Faeser (SPD), wie eine Untersuchung des Berliner Global Public Policy Institute im Auftrag der Robert-Bosch-Stiftung festhielt.

Es kommen wieder mehr Flüchtlinge

Im Koalitionsvertrag versprochen haben die Regierungsparteien zusätzlich ein humanitäres Aufnahmeprogramm, das bis zu 20 000 Afghaninnen und Afghanen einen sicheren Weg nach Deutschland ermöglichen soll. Im Juli stellte der Haushaltsausschuss des Bundestags dafür 25 Millionen Euro bereit. Unklar ist, für wie viele Flüchtende dieses Geld reicht. Zentrale Punkte sind ohnehin noch zu klären: Welche Kriterien gelten, um aufgenommen zu werden? Wer schlägt die Aufzunehmenden vor? Wer trifft die Vorauswahl? Mehrere Hilfsorganisationen haben schon abgewunken, um ihre Neutralität bei der humanitären Hilfe in Afghanistan nicht zu gefährden. Bis Ende August erwartet der Bundestag einen Bericht zum Stand dieses Programms.

Dafür gelangten in den vergangenen zwölf Monaten wieder deutlich mehr Flüchtende aus Afghanistan auf eigene Faust oder mit Hilfe von Schleppern nach Deutschland als vor der neuerlichen Machtübernahme durch die Taliban. Registrierte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Anfang 2021 im Monat etwa 1000 Erstanträge auf Asyl von Afghanen, stieg diese Zahl zum Jahresende bis auf 2700 monatlich - und ging im Sommer wieder auf 2000 zurück. Im großen Fluchtjahr 2016 waren es noch vier Mal so viele.

Und anders als damals steht nicht infrage, dass die Flüchtenden bleiben dürfen. Wer es aus Afghanistan hierherschafft und um Asyl bittet, der bekommt derzeit auch Schutz.

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