Süddeutsche Zeitung

Afghanische Flüchtlinge in Deutschland:Ein bisschen Hoffnung inmitten der Angst

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Eben noch sollten sie abgeschoben werden - jetzt dürfen abgelehnte Asylbewerber aus Afghanistan dank des Abschiebestopps wieder bleiben. Über einen, dessen neues altes Leben an diesem Mittwoch beginnt.

Von Nina von Hardenberg, München

Er darf tatsächlich wiederkommen: An diesem Mittwoch wird Omar Suleimankhil wieder die Werkshalle des Brettspiel-Herstellers Ludo Fact im bayerischen Jettingen-Scheppach betreten. Er wird wie früher neben den großen Maschinen stehen und sie so einstellen, dass sie Pappbögen zu Puzzeln stanzen, zu Spielbrettern oder Spielkarten, je nachdem. Er wird wieder gerufen werden, wenn eine Maschine klemmt oder gesäubert werden muss.

"Eine gute Arbeit", sagt der afghanische Flüchtling. Er hat sie auch fünf Jahre lang gut gemacht. Hat sich "wunderbar integriert", hat Deutsch und die deutschen Gepflogenheiten gelernt, etwa, dass der Chef hier auch eine Frau sein kann. Das sagt Ludo-Fact-Personalleiter Thomas Hüttenhofer.

Omar Suleimankhil war einer der ersten Flüchtlinge, die die Firma 2014 einstellte und die sie nach wie vor dringend braucht. "Wir suchen händeringend Mitarbeiter, auch ungelernte", sagt Hüttenhofer. Im Mai war für den Afghanen trotzdem Schluss. Das Amt hatte ihm die Arbeitserlaubnis entzogen, die Abschiebung stand bevor. Er saß untätig im Flüchtlingsheim rum, um ihn lauter arabisch sprechende Neuangekommene, die er nicht verstand. Er schlief schlecht, fürchtete sich vor der Zukunft. "Ich hasse zu Hause bleiben", sagt er.

Und jetzt? Afghanistan ist in den Händen der Taliban. Viele Menschen versuchen verzweifelt das Land zu verlassen. Den Afghanen in Deutschland aber verschafft diese Situation paradoxerweise Sicherheit. Etwa 30 000 von ihnen müssten eigentlich in ihr Land zurückkehren, weil ihr Asylantrag abgelehnt wurde. Es ist die größte Gruppe abgelehnter Asylbewerber. Doch in ein Land, in dem ihr Leben gefährdet ist, darf Deutschland nicht abschieben. Bundesinnenminister Horst Seehofer hat deshalb alle Rückführungen nach Kabul ausgesetzt - zunächst für drei Monate. Doch auch danach dürfte es so schnell keine neuen Abschiebeflüge geben, schließlich ist nicht mal klar, ob der Flughafen in Kabul weiter betrieben werden kann.

All jene also, die gestern noch für die Abschiebung vorgesehen waren, sollen jetzt weiter geduldet werden. Arbeitsverbote dürften nach und nach aufgehoben werden. Selbst das sonst restriktive Bayern verspricht angesichts des gerade beginnenden Ausbildungsjahrs "eine erleichterte Ausbildungsaufnahme für vollziehbar ausreisepflichtige afghanische Staatsangehörige", wie eine Sprecherin des bayerischen Innenministeriums schreibt.

Die Ausbildung als mögliches Ticket für den langfristigen Aufenthalt

Für die Afghanen ändert das alles. Viele von ihnen sind wie Omar Suleimankhil schon lange in Deutschland und standen damit ohnehin kurz vor einer "Aufenthaltsgewährung bei nachhaltiger Integration" nach Paragraph 25 b Aufenthaltsgesetz. Diese können die Behörden Menschen erteilen, die schon seit acht Jahren mit einer Duldung in Deutschland leben, Deutsch sprechen und ihren Lebensunterhalt selbständig verdienen. Gerade Bayern aber hatte zuletzt Afghanen kurz vor der Acht-Jahre-Frist abgeschoben oder ihnen in Erwartung der Abschiebung die Arbeitserlaubnis entzogen. Jetzt nicht mehr.

Einer der ersten, der die Chance ergriffen hat und an diesem Mittwoch mit druckfrischem Vertrag die Ausbildung zum Anlage- und Maschinenführer anfängt, ist Omar Suleimankhil. Für ihn geht es nicht nur um den Job, den er braucht, um der kranken Mutter in Afghanistan Geld zu schicken. Die Ausbildung könnte auch sein Ticket für einen langfristigen Aufenthalt in Deutschland werden. Aus einer laufenden Ausbildung heraus wird fast nie abgeschoben. Schließt er sie erfolgreich ab, kann er sich danach um eine reguläre Aufenthaltserlaubnis bewerben, sagt die Augsburger Anwältin Maja von Oettingen, die ihn vertritt.

Eine Ausbildung oder auch eine Beschäftigung sei für die Afghanen jetzt ein guter Weg, eine längere Duldung zu erhalten, glaubt auch der Münchner Asylrechtler Hubert Heinhold. Daneben hält er es aber auch für möglich, Asylfälle neu aufzurollen. Wer schon früher Probleme mit den Taliban hatte, könne nun womöglich noch glaubhafter argumentieren, dass eine Rückkehr für ihn unzumutbar wäre. Und wem es nicht gelingt nachzuweisen, dass die Taliban ihm persönlich nach dem Leben trachten, kann sich derzeit zumindest darauf berufen, dass die Rückkehr in das von verschiedenen Terrorgruppen umkämpfte Land lebensgefährlich ist. "Wollen Sie wirklich Frauen nach Afghanistan abschieben?", fragt Heinhold.

Auch Omar Suleimankhil ist zuversichtlicher geworden. Angst aber hat er trotzdem noch, nur nicht mehr um sich selbst. Jetzt raubt ihm die Sorge um die Familie in der Heimat den Schlaf.

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