Süddeutsche Zeitung

Afghanistan:Fastenbrechen in Frieden

Zum Ende des Ramadan haben die Taliban einen kurzen Waffenstillstand versprochen. In den Wochen zuvor hatten sie eine Reihe von Anschlänge verübt.

Von Tobias Matern

Noch vor ein paar Tagen hatten sie von einer "Kriegserklärung" der Regierung gesprochen, nun geben sich die Taliban zahm. Zumindest für ein paar Tage. Die afghanischen Islamisten wollen wenigstens für einige Tage die Waffen schweigen lassen, nachdem sie in den vergangenen Wochen einen Anschlag auf den nächsten hatten folgen lassen. Besänftigt hat die Taliban offenbar der Ramadan, für viele Muslime eine Zeit der Einkehr und Reflexion. Zum Ende der Fastenzeit, das die Menschen auch in Afghanistan seit Sonntag traditionell mit Besuchen bei Freunden und Verwandten ausgiebig feiern, wollen die Taliban zumindest für drei Tage keine Attacken gegen Regierungstruppen oder staatliche Einrichtungen vornehmen. Zeit zum Durchatmen für die Menschen in Afghanistan, die von den permanenten Anschlägen zermürbt sind.

Präsident Ashraf Ghani reagierte erleichtert auf die Ankündigung. Zahlreiche von ihm ausgehende Friedensangebote hatten die Islamisten zuvor immer wieder ausgeschlagen. Im Gegenzug zur Ankündigung der Taliban versprach Ghani, bis zu 2000 feindliche Kämpfer aus den Gefängnissen zu entlassen - als Geste des guten Willens. Zudem sei die Regierung darum bemüht mit den Taliban einen längeren Waffenstillstand zu erreichen, sagte Ghanis Sprecher Sediq Sediqqi der Süddeutschen Zeitung am Montag. "Der nächste Schritt sind dann die direkten Verhandlungen zwischen afghanischer Regierung und den Taliban." Dafür gebe es aber noch keinen konkreten Termin, sagte Sediqqi. "Wir hoffen, dass sie einsehen, dass Krieg nicht die Lösung ist" und dem afghanischen Volk den sehnlichen Wunsch nach Frieden ermöglichen.

Das Gerangel um das Präsidentenamt hatte die Islamisten gestärkt

Die Regierung hatte vor einigen Tagen einen monatelangen, lähmenden Streit zwischen Präsident Ghani und dem bisherigen Regierungsgeschäftsführer Abdullah Abdullah beendet. Letztgenannter erhält nun einen neuen, prestigeträchtigen Posten: Abdullah wird den Hohen Friedensrat leiten, das Gremium soll Friedensgespräche mit den Taliban auf den Weg bringen. Gelingt ihm das, wäre ihm ein prominenter Eintrag in den Geschichtsbüchern sicher, denn Afghanistan erlebt seit mehr als 40 Jahren Kriege mit wechselnden Konfliktparteien. Das Lager Abdullahs erhält zudem die Hälfte der Kabinettsposten in Ghanis Regierung. "Frieden hat für die Menschen in Afghanistan Priorität, wir begrüßen jeden positiven Schritt, der uns hilft, den Krieg zu beenden, das lange Leiden unserer Nation zu beenden und einen gerechten und dauerhaften Frieden zu erreichen", teilte Abdullah mit.

Abdullah hatte seit der Präsidentschaftswahl im September die Legitimität Ghanis angezweifelt und sich schließlich selber zum Präsidenten vereidigen lassen. Tatsächlich waren bei der Auszählung einige Ungereimtheiten aufgetaucht, auch wenn die meisten Beobachter davon ausgehen, dass Ghani die meisten Stimmen erhalten hat. Die Rivalität zwischen den beiden Männern hat das politische Kabul in Atem gehalten und die Position der Taliban weiter gestärkt. Denn die Zeit ist auf der Seite der Islamisten - sie haben Ende Februar eine bilaterale Vereinbarung mit den USA erzielt, demnach sollen die letzten westlichen Truppen Afghanistan bereits Ende April 2021 verlassen. Die Taliban sollen im Gegenzug eine Sicherheitsgarantie abgeben, dass von afghanischem Boden keine Terrorgefahr mehr ausgeht.

Auf Geheiß der Taliban hatte die Regierung Ghani an den Gesprächen nicht teilnehmen dürfen. Die Islamisten haben nun einen - an Bedingungen geknüpften - Deal mit den USA zum Truppenabzug. Die Amerikaner äußerten nach der Vereinbarung mit den Taliban die Hoffnung, dass binnen 100 Tagen auch die afghanische Regierung und die Taliban einen Frieden erreichen könnten. Doch das erweist sich als Illusion. Ghani und Abdullah sind angesichts des Abzugsdatums unter zeitlichem Druck, weil die westliche Schutzmacht in absehbarer Zeit das Land verlassen wird. Zumindest gehen die meisten Afghanen davon aus, dass US-Präsident Donald Trump unabhängig vom Stand des innerafghanischen Friedensprozesses die Truppen abziehen wird.

Die USA begrüßten den Waffenstillstand. Dadurch ergebe sich eine Gelegenheit, "die nicht verpasst werden sollte", sagte Zalmay Khalilzad, der US-Sondergesandte für Afghanistan. Es ist nicht das erste Mal, dass die Taliban zum Ende des Ramadan einen Waffenstillstand ausrufen - auch im Jahr 2018 hatten sie sich für eine kurze Feuerpause entschieden. Doch bald darauf setzen sie ihren Kampf gegen die Regierungstruppen fort. In Kabul gilt es immer noch als ausgemacht, dass Teile des pakistanischen Sicherheitsapparats die Taliban steuern und noch kein Interesse an einem dauerhaften Frieden in Afghanistan haben.

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SZ vom 26.05.2020
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